Freitag, 29. Juni 2012

Menschen in der Bahn - A tribute to Stancerblog


Als ich vor ein paar Wochen mit dem Schreiben dieses Blogs begonnen habe, hatte ich noch keine Ahnung, wie viele neue Erfahrungen mich erwarten. Auf Twitter bin ich dann auf das Profil von @PlanC_ gestoßen, mit einem Link auf Stancer´s Blog, dessen Texte mir sofort gefallen haben. Seine Art, die Posts liebevoll und abwechslungsreich zu gestalten, gespickt mit einem wundervollen Humor, machen das Blog zu einem bemerkenswerten Leseerlebnis.

Ich freue mich sehr, dass ich nun mit seiner Genehmigung seinen Blogpost "Menschen in der Bahn" präsentieren darf. Ich hoffe, Sie haben mindestens so viel Freude daran wie ich! 


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„Ein Mensch schaut in der Straßenbahn / der Reihe nach die Leute an. / Jäh ist er zum Verzicht bereit / auf jede Form Unsterblichkeit.“ - so schrieb einst der großartige Eugen Roth. Dieses Gedichtlein hat bis heute nichts an Aktualität verloren, als täglicher Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs erlebe ich sie jeden Tag: die Menschen in der Bahn. Ihnen ist dieser Aufsatz gewidmet.
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Der Arbeiter*: Schon morgens kramt er aus seiner Laptoptasche seinen Rechner, diverse ausgedruckte Präsentationen und Unterlagen heraus, dazu stets die Datenpistole Marke Blackberry im Auge. Er/sie ist ein Genie: zwischen zwei bis fünf Haltestellen kann er sein Zeugs heraus kramen, dann gleichzeitig E-Mails bearbeiten, Unterlagen mit dem Textmarker färben, telefonieren und Kaffee aus einem Pappbecher mit einer winzigen Trinköffnung im Deckel trinken, und schließlich, eine Sekunde bevor er raus muss, alles wieder in seiner Tasche verstaut haben. Ich weiß nicht, ob ich ihn dafür bewundern oder bedauern soll.
Vollbringt der Arbeiter schon in der U- oder Straßenbahn wahre Wunder auf dem Feld des Multitaskings, so fährt er im Intercity zur Höchstform auf. Mühelos gelingt es ihm, mit Rollkoffer, Unterlagen, Laptop, Mantel, Jackett, Ersatzanzug, Hutschachteln und Schuhen (was veranlasst eigentlich Menschen, im Zug ihre Schuhe auszuziehen?) eine Vierersitzgruppe mit Tisch komplett einzunehmen. Zwischen Würzburg und Frankfurt/Main-Flughafen fertigt er eine 40-seitige Präsentation, isst ein Baguette mit Schinken und Käse, liest ein etwa hundertseitiges Worddokument und macht seine Anmerkungen darin, führt trotz fluchend durchfahrener Funklöcher zwölf Telefonate, trinkt vier Kaffee, fertigt seine seine Steuererklärung und rettet die Welt - vorausgesetzt, eine Steckdose befindet sich an einem seiner vier Plätze.
Wenn nicht, kann man beobachten, wie ein Mensch mit schwindender Akkufüllung immer mehr in sich zusammen sinkt wie ein undichter Luftballon, bei fünfzig Prozent erste Schweißperlen, die sich bei spätestens 30 Prozent zu Rinnsalen erweitern; bei unter zehn Prozent tritt Schaum aus dem Mund, und nachdem er seinen Rechner endlich zugeklappt hat, weil nichts mehr geht, sitzt er zitternd und zusammengekauert auf seinem Platz und schaut alle dreißig Sekunden abwechselnd auf seine Armbanduhr und den Blackberry. Bis zum Zielbahnhof ist die Reise für ihn eine Qual, etwa so wie für mich das Innere einer Sporthalle, er nimmt nicht wahr, was draußen am Fenster vorüber fliegt, die angebotene DB-Kundenzeitschrift verbleibt ungelesen in der Ablage an der Rückenlehne des Vordersitzes.
Auf der Sympathie-Scala von eins (sehr unsympathisch) bis zehn (sehr sympathisch) bekommt der Arbeiter wegen der Unruhe, die er verbreitet, drei Punkte. Ohne Steckdose und mit leeren Akkus sechs.
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Der Smartphoneabhängige*: Sobald er seinen Platz eingenommen hat, wobei es keine Rolle spielt, ob Sitz- oder Stehplatz, starrt er auf sein iPhone oder ein artverwandtes Gerät und tippt / streicht darauf herum. Im günstigsten Fall tut er dies geräuschlos, im nicht ganz so günstigen Fall umgibt ihn dabei ein rhythmisch schräbbelndes Geräusch aus seinen Ohrstöpseln, und im schlimmsten Fall telefoniert er lautstark für alle im Wagen hörbar: „Alter, wo bist du? - Was? Verstehe dich nicht, sind im Tunnel. - Was? Bin noch in der Bahn. - Was?“ Und so weiter. Von der ersten bis zur letzten Haltestelle, wo er aussteigt, und vermutlich weit darüber hinaus. Sympathiewert: je nach Geräuschentwicklung zwei bis fünf Punkte.
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Der Schwätzer*: Er unterhält sich lautstark, so dass es jeder mitbekommt, am liebsten über Themen aus seinem Arbeitsumfeld, das Projekt, wie lange er gestern wieder im Büro war, die faulen Kollegen, die schlechte Organisation in seiner Abteilung, aber ihn fragt ja keiner, außerdem er habe es ja gleich gesagt. Im günstigsten Fall labert er einen Kollegen voll, im schlimmsten Fall bin das ich. Sympathiewert: einen Punkt; wenn ich das Opfer seiner Ansprache bin, minus drei.
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Der Apathische*: Er sucht sich seinen Platz und macht - gar nichts. Starrt einfach vor sich hin, auf einen imaginären Punkt im hinteren Wagenteil, vielleicht die Werbung der örtlichen Telefonseelsorge, deren Nummer er vom täglichen Starren längst auswendig kennt, oder in das Schwarz des durchrauschten U-Bahn-Tunnels. Er ist mir einer der liebsten Mitreisenden, unauffällig, geräuscharm. Je nach dekorativer Erscheinung acht bis zehn Punkte.
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Der Ungeduldige*: Für ihn ist die Bahnfahrt eine Qual. Er bleibt direkt in der Tür stehen, auf dass sich jeder, der ein- oder aussteigen will, an ihm vorbei quetschen muss. Spätestens drei Haltestellen vor seinem Ziel holt er eine Zigarette aus der Tasche, klemmt sie sich hinter das Ohr und spielt nervös - ratsch ratsch, funk funk - mit seinem Feuerzeug herum. Fährt die Bahn nicht weiter, weil mal wieder jemand in der Tür steht und sie sich deshalb nicht schließen lässt, sagt er so Sätze wie „Nun fahr endlich, Scheißbahn“, und schaut zustimmungsheischend in die Runde, jedoch ohne Erfolg, weil die Apathischen um ihn herum ihn ignorieren. Die anderen hören ihn nicht. Nachdem er gemerkt hat, dass es seine Tasche ist, die in die Lichtschranke der Tür ragt, kann die Bahn auch weiter fahren. Sympathiewert: fünf bis sechs Punkte.
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Der Kramer*: Er setzt sich nicht auf den freien Sitzplatz neben mir, sondern platziert dort zunächst seinen Rucksack, dann beugt er sich darüber und beginnt darin zu kramen, bis er seine Wasserflasche gefunden hat; dann setzt er sich endlich, den Rucksack zu seinen Füßen, und kramt unermüdlich weiter darin herum, holt ein Buch, sein Telefon und ein belegtes Brötchen hervor. Er hört nicht eher mit kramen auf, bis seine Zielhaltestelle erreicht ist, oder meine. Der Kramer macht mich wahnsinnig. Maximal zwei Sympathiepunkte.
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Der Esser*: Er steigt schon mit einem Kaffeebecher ein, entweder einer dieser scheußlichen Pappbecher mit Plastikdeckel, siehe oben, oder so ein hipper alufarbener Thermobehälter mit Henkel; kaum sitzt er, holt er eine Papiertüte der nächsten Bäckerei aus seiner Tasche hervor und beißt bald darauf grunzend und schmatzend in das weiträumig krümelnde Buttercroissant oder, schlimmer, in das mit Tomate, Mozzarella, Ei, Thunfisch, Frikadelle, Mayonnaise und einem Salatblatt völlig überbelegte Baguettebrötchen, aus dem sich spätestens nach dem zweiten Bissen die Zutaten der Schwerkraft folgend verabschieden, im günstigsten Fall in den Schoß des Essers, im ungünstigsten auf meine Schuhe.
Auch hier ein kurzer Ausflug zum DB-Fernverkehr: Statt der Tüte des örtlichen Bäckereiwaren-Fachgeschäfts holt Mutti gerne eine große Plastikdose hervor und verteilt daraus belegte Brote mit grober Leberwurst, selbstgebratene Frikadellen und hartgekochte Eier an ihre Lieben, woraufhin der halbe Wagen von einem Geruch erfüllt ist, der an einen Kühlschrank nach mehrtägigem Stromausfall im Hochsommer und Verwesung im fortgeschrittenen Stadium erinnert.
Je nach Geruchsbelästigung erhält der Esser null bis einen Sympathiepunkt.
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Der Fahrradmitnehmer*: „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt“, so der Volksmund. Wer sein Fahrrad noch mehr liebt, nimmt es im Berufsverkehr mit in die überfüllte Bahn, und wenn es nur für die Distanz von drei Haltestellen ist. Meine bisherigen Versuche, den Fahrradliebhabern den eigentlichen Zweck ihres drahtigen Freundes zu erläutern, wurden stets mit einem lauter stellen des Schräbbelgeräusches aus ihren Smartphone-Kopfhörern quittiert. Aber ich bleibe dran. Sympathiewert: null Punkte
Der Klappfahrradbesitzer*: Eine auf den ersten Blick wesentlich angenehmere Unterart des Fahrradmitnehmers. Kaum hat er die Bahn mitsamt Rad bestiegen, beginnt die öffentliche Vorführung seines Wunderwerks: Dank einer raffinierten Technik aus zahlreichen Scharnieren, Knickstellen und Gelenken lässt sich das Rad soweit zusammenfalten, dass es anschließend Platz in einer Manteltasche findet. Auch mit Übung dauert diese Prozedur eine gewisse Zeit, mindestens so lange wie die Bahnfahrt an sich. Daher mutiert der Klappfahrradbesitzer schnell zum -> Kramer, was ihm leider nicht mehr als zwei Sympathiepunkte einbringt.
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Der Sitzblockierer*: Er benötigt stets einen Zweiersitz, einen Platz für sich, einen für seine Tasche oder den Rucksack. Dabei ist es egal, wie voll die Bahn ist, ungerührt nimmt er nicht zur Kenntnis, dass sich die Mitfahrer neben seinem Platz stehend drängeln wie die Kaiserpinguine während eines Schneesturms, stattdessen widmet er sich seinem iPhone oder schaut einfach aus dem Fenster. Wer wollte es ihm übel nehmen, die Tasche auf den Schoß zu nehmen, wäre eine Zumutung, sie zu Füßen auf den Boden zu stellen scheidet allein schon aus hygienischen Gründen aus, und auch die Gepäckablage über dem Sitz ist angesichts der immer schlechter werdenden Welt keine ernstzunehmende Alternative. Wagt man es dennoch, den Sitzblockierer zu fragen, ob der Platz neben ihm noch frei sei, so kann man sich eines Blickes sicher sein, als hätte man soeben seinen Kopulationswunsch kundgetan oder gefragt, ob das auf seinem Kopf eine Frisur oder eine schlecht sitzende Mütze sein. Höchstens zwei Sympathiepunkte.
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Der Attraktive: Gerade im Sommer sehr anstrengend. Plötzlich sitzt er mir gegenüber, der Adonis, jung, schön, leicht bekleidet - und würdigt mich keines Blickes. Stattdessen zupft er im Spiegelbild des schwarzen U-Bahn-Fensters an seiner Frisur herum und krault sich mit der anderen Hand an seinem haarigen Oberschenkel. Mir bricht der Schweiß aus, ich will ihn anstarren, da das jedoch ungehörig ist, schaue ich ebenfalls in den schwarzen Fensterspiegel, wo ich ihn unbemerkt beobachten kann. Die Zielhaltestelle kann ich kaum erwarten, meine oder seine, egal, Hauptsache ich muss ihm nicht länger gegenüber sitzen. Mit lüsternen Bildern im Kopf steige ich aus, aber das ist nicht schlimm, nach spätestens zwei Tagen verflüchtigen die sich meistens. Wenn es gut läuft. Sympathiewert: zehn Punkte. Mindestens.
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Der Buchleser*: Er ist ein ähnlich angenehmer Reisegenosse wie der Apathische, unauffällig und geräuschlos nimmt er den dritten Band von Thomas Manns ,Josef und seine Brüder‘ hervor und liest darin, schon seit Monaten und vermutlich noch weitere Wochen. Durch Schwätzer, Arbeiter und Esser lässt er sich nicht von seiner Lektüre ablenken, Seite für Seite liest er sich durch die schwere Materie. Kommt eine Durchsage, etwa „Wegen einer Signalstörung verzögert sich unsere Weiterfahrt um unbestimmte Zeit“, woraufhin sich ein Tumult im Wagen erhebt, hebt er nur kurz andeutungsweise eine Augenbraue, räkelt sich in eine bequemere Sitzposition und liest weiter, der Lesestoff reicht noch für Tage. Ich beneide ihn. Daher acht bis zehn Sympathiepunkte.
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Der Mitleser*: Auch ich bevorzuge es, U-Bahnfahrten, in Ermangelung optischer Reize vorbeiziehender Landschaften, lesend zu verbringen, daher habe ich stets ein Buch oder eine Zeitung dabei. Es gibt Menschen, die auch gerne lesen während reizloser Bahnfahrten, nur haben sie nichts zum Lesen dabei, stattdessen lugen sie mehr oder weniger unverhohlen in die Lektüre ihres Nebenmannes. Ich weiß nicht warum, aber diese Mitleser stören mich ungemein, so als ob sie ungefragt von meinem Butterbrot abbeißen würden, erst recht bei Texten, die, na sagen wir mal, nicht ganz jugendfrei sind. Sonst auch. Ein böser Blick meinerseits vertreibt den Buchstabenschmarotzer für wenige Sekunden, doch schon bald spüre ich wieder seinen Blick, Zeile für Zeile.
Mittlerweile gewöhne ich mich jedoch an diese Zeitgenossen, und da ich von Natur aus höflich bin, blättere ich erst weiter, wenn ich sicher bin, dass auch mein Nebenmann die Seite zu Ende gelesen hat. Daher steigt der Sympathiewert langsam von ursprünglich zwei auf inzwischen vier Punkte, Tendenz steigend.
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Die Aktenorderträgerin: Hier wähle ich ausnahmsweise die weibliche Form, weil es nach meiner Beobachtung fast ausschließlich junge Frauen sind, die statt einer Tasche einen Aktenordner mit sich tragen. Seltener auch junge Männer türkischer Abstammung, was keineswegs wertend gemeint ist, es entspricht einfach meiner Beobachtung. Entweder der klassische dunkelgraumelierte Leitz-Ordner, zunehmend bei den Damen auch buntere Exemplare. Bislang ungeklärt ist die Frage, was Inhalt dieses Ordners ist, zumeist sind es nur wenige Dokumente. Noch niemals wurde das Geheimnis während einer Bahnfahrt durch Aufklappen des Ordners gelüftet. Auch entzieht es sich meiner Kenntnis, welcher Tätigkeit diese Damen und wenigen Herren nachgehen. Für Hinweise wäre ich dankbar. Bis zu zehn Sympathiepunkte, es sei denn, mit dem Aktenordner wird ein Sitz blockiert.
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Der Verpisser: Hier ist bewusst die männliche Form zu wählen. Streng genommen handelt es sich nicht um einen Menschen in, sondern an der Bahn, genauer: an der Haltestelle, noch genauer: an einer Haltestelle ohne Hochbahnsteig, der einen ebenerdigen Einstieg ermöglicht. Zunächst steht er untätig herum und wartet. In hektische Bewegung gerät er, wenn eine Mutter mit Kinderwagen auf ihn zurollt. Vielleicht kennen Sie den Effekt, der eintritt, wenn auf eine mit Blütenstaub bedeckte Wasserfläche ein Tropfen Öl fällt, sofort stieben die Pollen kreisförmig auseinander. Ähnliches ist zu beobachten, wenn mehrere Verpisser auf die Bahn warten und besagte Mutter angetropft kommt.
Da ich seit Jahren immer um dieselbe Zeit mit derselben Bahn fahre, weiß ich natürlich längst, wohin ich mich stellen muss, um keinen schweren Zwillingskinderwagen in die Bahn hieven zu müssen. Nicht, dass ich mich drücken würde, aber ich bin nicht mehr der jüngste, und mein Kreuz...
Das schlimmste, was dem Verpisser passieren kann, ist, dass er einsteigen will, die Tür der Bahn öffnet sich, oben steht die Mutter und schaut ihn erwartungsvoll an. Zurück kann er nicht, also verkneift er sich den leisen Fluch und hilft beim Herauswuchten des Kinderwagens. Dummerweise stellt er sich dabei sehr ungeschickt an, und ehe er einsteigen kann, ist die Tür wieder zu und die Bahn fährt ab, ohne ihn, der eben noch unterdrückte Fluch entfährt ihm doch noch, nützt zwar nichts, hilft aber. - Sympathiewert: sechs bis acht Punkte, wer will sich schon selbst in Misskredit bringen.
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Ich gebe zu: Ohne die vorgenannten Mitmenschen käme mir jede Bahnfahrt öde und langweilig vor, daher gehört mein Mitgefühl allen, die ihre tägliche Fahrt zur Arbeit in einem Auto, auf einem Fahrrad oder gar zu Fuß verbringen müssen. Damit schließe ich das Loblied auf den öffentlichen Personen-Nahverkehr.
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* Hinweis an die politisch korrekten: Aus Gründen der Verständlichkeit verzichte ich auf die Nennung der jeweils weiblichen Erscheinungsform, weise jedoch darauf hin, dass die meisten der geschilderten Beobachtungen und Klassifizierungen nicht an ein bestimmtes Geschlecht gebunden sind. Ich bitte um Ihr Verständnis.

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Quelle: http://stancerblog.blog.de/2012/05/27/menschen-bahn-13755554/

Donnerstag, 28. Juni 2012

Slow-Food im Test

Mit erstauntem Blick begutachtete ich das blasse und ausgemergelte Kerlchen, das mir ein Silbertablett mit Gänseblümchen und Löwenzahn unter die Nase hielt! "Davon kann man gut leben, es ist nahrhaft und gesund. Ich ernähre mich schon seit 10 Jahren davon!" schalmeite es mir entgegen. Ich bin zu gut erzogen, um ihm zu sagen, dass er wirklich nicht gesund aussähe und ich mir ein wenig Sorgen mache, ob er den morgigen Tag (es sollte stürmisch werden) überhaupt noch erleben würde. Ich lehnte dankend ab und eilte weiter.

Slow Food. Gesund essen. Natürlich. Bio. Ich bin bereits kurz in meinem Raucherblogpost darauf eingegangen, jedoch ist dies ein derart weitläufiges Thema, dem ich mich gern noch einmal widmen möchte.

Da ich ja vorerst offen für nahezu jedes Thema bin, habe ich mich - als bekennender Fast-Food-Junkie - überreden lassen, auf eine Slow-Food-Messe zu gehen, um zu lernen, wie man sich heutzutage ernährt.

Stand Nr. 1: Gesunde Ernährung besteht weitestgehend aus Ölen. Was auch immer man pressen kann, wird gepresst und zu Ölen verarbeitet. Und die muss man immer zum Essen reichen. Und zwar alle. Wegen der Abwechslung.

Stand Nr. 2: Wein aus der Region. (Un)glücklicherweise der zweite Stand auf der Messe. Ich kann mich zwischen Weiß- und Rotwein nicht entscheiden, probiere mal hiervon, davon, Barriquefass, Stahlfass... und zum Neuuutralisiiiieren noch den Rhoseeewein.

Stand Nr. 3: ist irgendwas mit Käse aus eigener Herstellung, Büffelmozzarella und Höhlenkäse, müffelt fürchterlich, ist aber geschickt platziert neben

Stand Nr. 4: der Bioschokolade. Schmeckt nach Käse.

Stand Nr. 5: ist wieder ein Weinstand, ich probiere wieder alles, Zeit für

Stand Nr. 6: Fleisch aus eigener Herstellung. Herzhafte Wildschweinsalami, Schinkenspeck und sonstige Fleischeslust. Ich greife herzhaft zu, um den Alkoholpegel wieder zu senken.

Stand Nr. 7: frisch gebackene Brote mit einer neuen Bio-Kaffee-Sorte. Auch zum Probieren.

Kurz bevor ich Stand Nr. 8 erreiche, hat sich der Wein-Schokoladen-Käse-Fleisch-Kaffeemix durch die schützende Kürbiskern-Leinsamen-Ölschicht gefressen. Ich laufe panisch aus der Halle, vorbei an einem Stutenmilchstand (??)... Egal, welche ungesunde Fast-Food-Ration ich bisher in mich hineingestopft habe, so ein gesundes Durcheinander überfordert meine inneren Organe offensichtlich.

Nichtsdestotrotz ist es natürlich schön, den Menschen zu zeigen, dass man Lebensmittel nicht abgepackt aus dem Supermarkt kaufen muss, sondern gerne auch aus der Region. Beherzigt wird es nur selten. "Bio" ist leider einfach viel zu teuer und grade die Menschen, die wenig Geld haben, sind nicht in der finanziellen Lage, Bio zu kaufen. Man braucht ja auch noch reichlich Zigaretten - und Alkohol. Da wird ja schon eingespart mit den Eigenmarken der Läden. Dann muss das Kind heute eben eine Tütensuppe essen, man hat doch auch wenig Zeit, bei "Mitten im Leben" hat RTL wieder eine spannende Geschichte konstruiert, die so fesselnd ist, dass sich heute auch das Kind ausnahmsweise ruhig verhält und auf die Mattscheibe glotzt.

Solche Situationen beschreiben die Medien. Traurigerweise ist das allzuoft auch der Fall. Und eines ist unbestreitbar: Bio ist teurer. Und Fakt ist, wir wissen nicht, wieviel "Bio" drin steckt, schließlich handelt es sich um nicht geprüfte Waren. Fleisch ist zum Teil günstiger als Gemüse und so wird gesunde Ernährung heute leider ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann oder das Geld dafür investieren will, wenn man jeden Cent umdrehen muss.

Und schmeckt Fast Food nicht auch verlockend gut? Ein herzhafter Gammelfleisch-Burger oder -Döner, die Currywurst mit Pommes und viel Mayo. Wir leben im Schlaraffenland der Neuzeit, ruinieren damit unseren Cholesterinspiegel. Die Nahrungsmittelfirmen werben doch regelmäßig mit neuen schnell zubereiteten Leckereien, die wir wunderbar in unseren stressigen Alltag integrieren können! Ein Schnitzel für den Toaster! Da gehen Träume in Erfüllung. Stundenlange Nahrungsvorbereitung entfallen und wir haben mehr Zeit, uns den wichtigen Dingen des Lebens zu widmen. Social Networking, Fernsehen, Extrem-couching.

Hurra, der Körper wird es uns danken!

Sonntag, 24. Juni 2012

Die Anatomie des Aufregens

Der nachfolgende Text wurde unter heftigstem Gefluche geschrieben, da der PC seinen Job wieder nicht vernünftig erledigt hat!!!!! 

Ich habe nun schon einige Blogposts über die kleinen Aufreger des Alltags verfasst. Doch wie sieht er eigentlich aus, der kleine Aufreger? Über die ganz kleinen Ärgerlichkeiten bis hin zu den größeren?

Es gibt verschiedene Typen des Aufregens, die nach Charakter, Tagesform und natürlich auch dem Auslöser an sich zu unterteilen sind. Und es ist immer wieder erfrischend festzustellen, wie andere Leute ihrem Unmut Luft machen - es erfrischt aber auch nur, wenn man Beobachter der Situation ist und nicht selber der Auslöser war.

Da gibt es die Leute, die in jeder Situation die Contenance behalten, ruhig bleiben, manchmal sogar lächeln. Man kann sich mit ihnen nicht streiten, da sie von einem stetigen Ruhepol umgeben werden, der ihnen nicht das geringste Anzeichen von Wut erlaubt. Ein "Heuwägelchen" und die Welt ist wieder in Ordnung.

Ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Im Gegenteil, wenn ich wütend bin und ich dann noch angelächelt werde, treibt mich das endgültig zur Weißglut. Ich selber bin eher etwas cholerisch. Nicht immer. Aber wenn ich allein bin und mich niemand sieht, dann können schon Dinge das Fliegen lernen. Zuletzt war es Bärchenwurst. Ich will ja nichts kaputt machen.

Der PC ist heutzutage einer der größten Wutanfallauslöser. Jeder kennt die Problematiken und die damit verbundenen Fluchattacken. Man hört von Leuten plötzlich Neologismen im Schimpfwortrepertoire, auf die man so nicht kommen würde "DreckskackendePissarschsau..." Sie wissen schon, der normale Wutausbruch eben.
Sollte der PC weiterhin störrisch bleiben und sich von den Schimpfwörtern unbeeindruckt zeigen, muss Gewalt her. Wenn man die Maus durchs Zimmer wirft, wird er schon sehen, was er davon hat. Auf der Arbeit würde ich so etwas natürlich nicht tun, zumeist gibt es dort keine kabellosen Mäuse und das darauffolgende Gespräch mit dem Chef dürfte auch unangenehm werden.
Im Normalfall nimmt der Kopf einige Minuten später wieder eine gesunde Hautfarbe an und die Adern senken sich wieder an ihre dafür vorgesehenen Stellen. Im besten Fall.

Die mutwillige Verletzung des Zehs durch ein Möbelstück ist ebenfalls gern einen Aufreger wert. Nachts hat man Durst, möchte etwas trinken und plötzlich taucht die Kommode aus dem Nichts auf und stößt gegen den Zeh. Hier ist man meist zu müde, um sich böse Schimpfworte einfallen zu lassen, in diesem Fall reicht ein gezielter Tritt gegen das hinterhältige Möbelstück, mit dem man den anderen Fuß ebenfalls lädiert, aber wenigstens mit einem triumphierenden Grinsen. Mistding.

Politik... auch ein Aufreger par excellence. So weitreichend. So endlos. Und so sinnlos. Entweder wird man aktiv oder man nimmt die Situation als gegeben hin. Wenn ich stundenlang im Wohnzimmer mit Freunden oder der Familie darüber diskutiere, hilft das niemandem. Man frisst es nur nicht in sich hinein. Ich habe die These aufgestellt, dass politische Themen als Lückenfüller auf Geburtstagen herhalten. Das Gezeter hilft keinem, aber man hat wenigstens ein Thema, auf dem kollektiv herumgehackt werden kann.

Die Dreistheit mancher Leute treibt uns regelmäßig in den Wahnsinn. Ob es der penetrante Drängler mit seinem dicken Gefährt auf der Autobahn ist oder ein frecher Verkäufer, der gierig auf seine Provision ist.

Straßenverkehr: Schätzungsweise wurde das wüste Fluchen und Beschimpfen hier erfunden. Jeder war mit Sicherheit schon einmal kurz davor, in sein Lenkrad zu beißen, weil die Anderen, die Vollidioten, die den Führerschein im Lotto gewonnen haben, einfach nicht in der Lage sind, vernünftig zu fahren. Vorfahrtnahme, dreistes Drängeln, wildes Überholen. Stau. Man steigt gut gelaunt ins Auto ein und ist nach 20 Minuten an dem Punkt angelangt, einfach aus dem Wagen zu steigen und zu gehen. Wie Michael Douglas in "Falling Down". Speziell an Sommertagen gleicht die Autofahrt einer rivalisierenden Fehde von Einzelkämpfern. Ich kann mir dieses Phänomen bis heute nicht erklären, versuche mittlerweile aber, bei schönem Wetter das Auto stehen zu lassen. Aus Umweltschutzgründen. Und aus Selbstschutz. Es ist ein weitläufiges Thema, der Straßenverkehr. Wenn man Fahrrad fährt, sind die Autofahrer nicht vorsichtig genug, fährt man nächsten Tag Auto, sind die Fahrradfahrer die Idioten. Eigentlich stört alles und jeder.
Sicherlich basiert vieles auf der Unfähigkeit mancher Leute, vieles sind Mißverständnisse, klären werden wir das Thema allerdings nie.

Provisionsgeile Verkäufer. Wir sind mittlerweile geimpft, nichts zu schnell zu kaufen, alles zu prüfen und uns nichts aufschwatzen zu lassen. Das klappt bei Versicherungen und Staubsaugervertretern, in Klamottenläden sind wir dem meist jedoch schutzlos ausgeliefert. Während der Verkäufer wortgewandt auf den hilflosen Käufer einredet, wie TOLL die neue Hose an ihm aussieht, versuche ich meistens, den Blick des Käufers zu erhaschen und vorsichtig den Kopf zu schütteln. Es hängen ja auch überall Spiegel, aber wenn der Verkäufer eben sagt, dass das jetzt SO getragen wird, dann muss er ja Recht haben. Spätestens zu Hause fliegt die neu gekaufte Hose in die Ecke.

Manchmal sehen wir über etwas hinweg, weil wir gut gelaunt sind, weil wir Zeit genug haben, weil jedem von uns mal Fehler passieren:
Dann hat der Postbote eben geschellt und ihm war nunmal heute nicht danach, die Stufen hochzutraben, um das Paket abzugeben. Nun liegt ja der Abholschein im Briefkasten, aber man hat Zeit und kann sein Paket auch selber abholen. Solange dies das einzig unangenehme Vorkommnis des Tages ist, hat man ja kein Problem. 
Bin ich mit dem falschen Fuß aufgestanden oder habe mich bereits auf der Arbeit oder im Straßenverkehr geärgert, wird die Fahrt zur Abholstelle sowohl für die Autofahrer im Umkreis als auch die Mitarbeiter am Schalter der Post eher weniger erfreulich. 


Es gibt noch viele andere Aufreger und es kommen jeden Tag neue dazu. Letztlich ärgern wir uns, wenn wir kritisiert werden, verletzt werden, wenn wir keine Zeit haben, in Hektik sind und es kommt etwas dazwischen, wenn uns Geld abgeluchst wurde für irgendein unnützes Zeug, wenn wir selber etwas verbocken und uns dabei über uns selber ärgern.
Zum Beispiel, wenn man eine Uhr reparieren will. Auf einem Holztisch. Und schon eine Unterlage benutzt, um den Tisch nicht zu vermacken. Das Gehäuse zuschraubt. Die Uhr hochnehmen will. Feststellt, dass die Uhr am Tisch festgeschraubt ist. Durch die Unterlage durch. Ein Loch im Tisch.
#?!&%$@*%!!!!
Die nachfolgenden Minuten hätte selbst der Tonmeister bei RTL wegzensiert.

Aufreger haben eben keine bestimmte Anatomie, sie können laut und heftig sein, ein deftiger Tritt gegen Gegenstände, ein Knurren. Ein zartes "Ach herrje, das ist aber gar nicht schön". Soll das ein Fluchen sein? Das ist doch kein Fluchen! Wenn man flucht, da muss man doch laut... also das regt mich jetzt echt auf!!!

Ein fröhliches "Heuwägelchen"!


Donnerstag, 14. Juni 2012

Die Fähnchendiskussion

"Jeder mit einem IQ unter 85 sollte ein Deutschlandfähnchen an seinem Haus befestigen"
"Grottige Autofahrer erkennen Sie an den Deutschlandfähnchen"
"Jeder Mann, dessen Penis kürzer als 15 cm ist, sollte sich mit Fähnchen an Auto und Haus kenntlich machen"

Diese Sprüche sind nicht neu, aber seit der letzten WM bei jedem Fußballspiel unserer Nationalelf präsent. Ich selber bin eher ein Fähnchenfan, nicht dumm, kein schlechter Autofahrer und was die Größen angeht... nunja, sagen wir, ich fühle mich nicht angesprochen. Gewundert habe ich mich doch. Während 2006 jeder ohne Fähnchen, Trikot oder sonstigem Nationalschmuck direkt irgendwas auf offener Straße in die Hand gedrückt bekam, um nicht so ungeschmückt herumzulaufen, spaltet das Fähnchenthema seit 2008 die Gesellschaft.

Interessanterweise hört man die "Anti-Fähnchen-Sprüche" eher von Männern. Der Gattung, die in den Farben ihres Lieblingsvereins von Kopf bis Fuß angemalt, gekleidet und aufgemacht samstags und sonntags, bei Sonderspielen auch in der Woche, dem Fußball fröhnen. Zumindest die meisten von ihnen.

Ich behaupte mal, dass solche Aussagen genau von den Menschen geäußert werden, die zu einer Kostümparty als einzige unverkleidet kommen, um dann die Kostümierten auszulachen. Die an einem italienischen Abend Kartoffelsalat mitbringen. Andersherum-an-die-Tanksäule-Fahrer.
Die mit ihren Sticheleien deutlich machen wollen, dass sie dem Gruppenzwang nicht unterliegen. Bei Kleinigkeiten. Bei ernsthaften Sachen sind sie nicht so selbstsicher, da wird eher gekuscht und gebuckelt, aber die kleinen Dinge kann man nutzen, um sich großkotzig aufzubäumen. Zieht ja selten Ärger nach sich.

Daher kann man auch Fähnchenaufsteller verurteilen. Es verletzt niemanden, tut niemandem weh, aber interessant ist das Verhalten allemal. Letztlich ist es doch so, dass wir, die Deutschen, keinen Nationalstolz haben. Woher auch? Nach so einer Geschichte liegt es fern, stolz auf sein Land zu sein. Aber wir können recht stolz auf unsere Nationalelf sein, die, wenn sie nicht so spielt, wie vergangenen Samstag, mit Sicherheit dieses Jahr wieder viele Fans glücklich macht.

Und dafür stelle ich ein Fähnchen auf. Oder zwei! Und Autospiegelbezüge. Weil es doch irgendwie nett ist.

Diejenigen, die versuchen, meinen IQ zu ermitteln, sei gesagt: ich werde sicherlich kein Kandidat für die Mensa, aber ich finde jeden Morgen aus der Tür und meistens auch den Weg wieder nach Haus. Mit oder ohne Fähnchen!

Dienstag, 5. Juni 2012

Rauchergebein und keine Biergärten für Nichtraucher

Kaum ein Thema polarisiert seit ca. 10 Jahren mehr, als die Raucherei. Was gut ist, denn so kann ich mich getrost darüber auslassen.

Denken wir an die frühen Jahre des Rauchens, als Nichtraucher verpöhnt waren. Uncool. Außenseiter. Freaks. Heute ist es umgekehrt. An kalten Wintertagen sieht man die immer kleiner werdende Spezies "Raucher" zusammengekuschelt vor den Türen stehen. Frierend.. Und doch glücklich. Und bald tot. Ob erfroren oder zu Tode geraucht, vermag man nicht zu sagen. Drinnen - in der wohligen Wärme - sitzen die Nichtraucher. Weniger glücklich. Denn jetzt, wo die Raucher nicht mehr drinnen ihrer Sucht frönen dürfen, sitzen sie allein dort. Wartend - und irgendwie doch neidisch nach draußen schauend. Das kleine frierende Grüppchen... hat Spaß! Verdammt! Da wettert man jahrelang gegen das Rauchen und nun müssen sie schon frieren und leiden, warum haben sie denn noch Freude daran?

Lautes Gelächter dringt von draußen herein. Ein Nichtraucher steht todesmutig auf, langsam, den Blick gesenkt, zieht seine Jacke an und geht raus. Zu dem Feind. Zu den Rauchern. Ein scheues "Hallo". Und er wird freundlich empfangen, der Verräter. 5 Minuten später noch größeres Gelächter, die nächste Zigarettenrunde wird eingeläutet. Die nächsten rappeln sich zaghaft auf; immer mehr Nichtraucher gehen raus. Eng aneindergeschmiegt wird die Party nach draußen verlegt. Drinnen herrscht Leere. Mittlerweile eine alltägliche Situation.
Rauchfreiheit: was in Restaurants positiv auffällt, geht Kneipeninhabern an die Existenz. Eigentlich sollte sich doch eine Lösung finden, die niemandem schadet. Die großen Kneipen und Bars teilen die Bereiche, aber was ist mit der kleinen Eckkneipe gegenüber? 20 Mann passen hinein, wenn überhaupt. Meistens sind es Stammgäste. Alle Raucher. Teilen kann man den Raum nicht. Der Wirt schließt ein letztes Mal seine Kneipe ab. Für immer. Wegen Zigaretten, kleinen, giftigen Glühstängelchen.

Wir rauchen, weil wir, wie viele andere Gattungen auch, eine suchtgefährdete Spezies sind. Und egal, wieviel Intellekt wir besitzen (genug um zu wissen, wie schädlich Rauchen ist), nehmen Menschen diese Droge zu sich. Sterben daran. Leiden an den Folgen. Und doch werden Raucher nicht aussterben. Denn der Mensch braucht seine Droge. Alkohol, Rauchen, Zucker. In dieser Hinsicht sind wir unter anderem dem Koala-Bär ähnlich. Auch er frisst die Eucalyptusblätter, die ihm auch als wertvolle Nahrung dienen, letztlich würden Sie keinen Koala-Bären für einen Apfel oder eine Banane begeistern können. Davon würde er weniger Durchfall haben, aber er wäre auch nicht so betüddelt, wie bei seiner Eucalyptuspflanze.
Aber würde jemand Eucalyptuspflanzen mit abschreckenden, sterbenden Koalabären oder warnenden Sprüchen über die Koala-Potenz versehen, vorausgesetzt, ein Koalabär würde dies verstehen, er würde es trotzdem nicht lassen. Der niedere Instinkt, einer unserer Urinstinkte, der auch Tieren innewohnt, lässt das Verlangen nach berauschenden Mitteln nicht abklingen. Selbst Völker, die weitab jedweder Ziviliation sind, haben ihre Möglichkeiten, sich zu betäuben. Ob sie sich in Trance tanzen, spezielle Pflanzen rauchen... die Wahrnehmung verändern, das gibt es überall.

Nun werden viele Raucher weiterhin Tag für Tag ihre Sargnägel verpaffen und kaum etwas wird sie davon abhalten können. Haben Sie Leute in ihrem Umfeld erlebt, die gleichzeitig nicht rauchen, keinen Alkohol trinken und auf Diät sind? Wahrscheinlich eher weniger, denn diese Leute verbreiten meist ziemlich schlechte Laune. Die anderen sind die Genießer: Ob gutes Essen, einen guten Wein und dazu eine Zigarette, eine Zigarre oder eine Pfeife. All das sind Genußgüter, einzeln, zusammen, wie es jedem beliebt. Und das sind Leute, die sich Zeit für etwas nehmen. Die die kurzen Momente der Entspannung nutzen. Allerdings ist der Genuss des Einen auch der Ekel des anderen. Abgestandener, kalter Rauchgeruch in den Haaren und dem schicken Anzug, brennende Augen und Schnappatmung sind für Nichtraucher und sogar für manchen Raucher kein Kindergeburtstag. Wer jemals in einem Raucherabteil der Deutschen Bahn gesessen hat, ist geimpft. Egal, ob Raucher oder Nichtraucher.

Beschönigen müssen wir gar nichts. Obgleich jeder auf seine Art genießt, beeinträchtigt  niemand annähernd die Umgebung so extrem wie ein Raucher. Dass ein schickes Essen nicht in Nebelschwaden versinken sollte, ist absolut indiskutabel.

Heute gilt vor allem eines: ein gesunder Lebensstil: Gesunde Ernährung, kein Alkohol, keine Drogen, keine Zigaretten, Yoga, Fußeinlagen, Nasenduschen, Ingwertee. Wir nehmen fast nur Bio zu uns. Das ist der Ausgleich zu dem Stress im Arbeitsalltag, keine 5 Minuten Ruhe. Keine Erholungspausen. Herzinfarkt mit Anfang 40. Aber Nichtraucher. Nichttrinker. Salatesser. Wir versuchen, unser Leben zu verewigen.
Über 100 Jahre alt zu werden. Jopi Heesters zu übertrumpfen. Noch älter werden, noch gesünder leben. Restriktionen ohne Ende. Öle sind gesund, aber nur natives Olivenöl, erste Pressung. Und Salat. Ein bisschen Fisch. Kein dunkles Fleisch. Nüsse. Aber nicht zu viele.
Da isst einer ein Stück Schokolade! Verdammt sei er! So wird der bestimmt nicht alt! Am besten, der erstickt gleich an seinem Genuss!

Raucher leben nicht länger und schon gar nicht gesund, aber irgendwie rotten sie sich zusammen und.. haben Freude an ihrem noch so kurzen Dasein. Sie verzichten nicht auf Teufel-komm-raus auf etwas, sondern gestalten ihr Leben nach ihrer Wahl. Und sie finden IMMER zu einander. Sie bilden kleine kommunikative Ecken, haben sich etwas zu erzählen, etwas zu lachen. Ja, sie sind schon ein kommunikatives Völkchen, ein bisschen müffelnd und meist etwas verlebt aussehend, aber irgendwie auch liebenswert.

Nicht jeder Raucher wohnt in einer vergilbten Wohnung, in der die Fenster nur alle 3 Monate geöffnet werden, um ein paar Rauchschwaden in die Freiheit zu lassen.

Es wird keine Toleranz zwischen beiden Gruppen geben. Und die Politiker können noch so häßliche Bilder oder Warnungen auf die Zigarettenschachteln drucken lassen. Es wird immer Raucher geben. Die bringen Steuern. Die eine Partei qualmt die andere nicht mehr zu, steht aber draußen und hat mehr Spaß im Leben. Dafür lebt die andere Partei länger. Fang an, über dieses Thema in einer Bar zu sprechen und du kommst die nächsten 5 Stunden nicht heim.

Militante Ex-Raucher. Früher geraucht, heute verachtend für das vor sich hinräuchernde Wesen. Sie starten die besten Hetzkampagnen gegen jeden einzelnen Raucher. Jede Zigarette wird kommentiert. Abfällig. Damit jeder mitbekommt, dass hier ein EX-RAUCHER steht, der es geschafft hat, sich von der Sucht zu lösen. Aufzuhören ist gut, und solange sie das mit viel Respekt und einem bewundernden Ton dem Ex-Raucher immer wieder sagen, wird er lächeln. Nichtraucher sind gute Menschen, Raucher aber auch. Raucher verpesten dank des Nichtraucherschutzgesetzes nicht mehr den Lebensraum der Nichtraucher und man könnte meinen, alle wären jetzt glücklich. Nein, weit gefehlt.

Ich schätze, das Thema "Rauchen am Arbeitsplatz" teilt jetzt endgültig alle Meinungen. Rauchverbot auf dem Firmengelände? Raucherräume? Ich amüsiere mich stets über die Raucher, die vor Gesundheitsgebäuden stehen. Vor Krankenkassen, Krankenhäusern. Das ist schon paradox. Aber deswegen gleich ein Rauchverbot auf dem Firmengelände zu verhängen, ist ein wenig hart, oder?
Ein- und Ausstempeln für´s Rauchen? Arbeiten Raucher überhaupt produktiv? Oder arbeiten sie sogar produktiver, weil sie nach einer kurzen 5 Minuten-Pause konzentrierter an die Arbeit gehen? Was ist mit Nichtrauchern, die eine halbe Stunde täglich auf dem Klo sitzen und während des Geschäftchens mit ihrem Smartphone rumspielen? Ist das jetzt Vergnügen oder Notdurft?


Aber wenn wir mit den Rauchern durch sind, dann kommt der Alkohol. Wenn wir mit dem Alkohol durch sind, dann werden es die Süßigkeiten. Dann das dunkle Fleisch. Und irgendwann sind wir eine nur-noch-wassersaufende-und salatfressende Spezies. Unglücklich. Aber wir werden vielleicht - so Gott will - alle älter als Jopi Heesters. Das können die Krankenkassen natürlich nicht mehr abfangen, deswegen werden wir in Altenheimen vor uns hinsiechen. Aber: wir werden steinalt. Und trotzdem krank. Haltet euch fest: wir sterben trotzdem! Wir werden nicht ewig leben und schon gar nicht ewig jung bleiben. Wir schließen ein paar Krankheiten aus, dafür kommen neue dazu. In den letzten 10 Jahren sind wieder etliche neue Krankheiten hinzugekommen (oder etwas hat einen neuen Namen), da fragt man sich fast, was aus der guten alten Erkältung geworden ist.

Diskussionen, dass Raucher mehr Krankenkassenbeiträge zu zahlen haben. Echt jetzt? Wollen wir aufwiegeln, wie gesund jeder einzelne von uns lebt? Dass der, der dafür mehr Süßigkeiten und Cola vertilgt (in immensen Portionen), ständig auf dem Zahnarztstuhl thront, redet niemand? Kaputtgesoffene Lebern von Alkoholikern, Entzugskosten für Drogenabhängige, Extremsportler. Hey, bist du grad OHNE Zeckenschutz über die Wiese gelaufen?? Sofortige Strafzahlung!  .. Muss das noch weiter ausgeführt werden?

Und ja, wir sollten unser Leben lieb halten! Rauchen kann erhebliche Schäden im Körper anrichten, Krebs, Asthma, COPD, Herzkrankheiten und vieles mehr. Man nimmt ein Gift zu sich, das über die Jahre dem Körper schadet .
Wir sollten mit einem Respekt unserem und anderen Körpern gegenübertreten. Alles in Maßen, nichts übertreiben, weder Stress noch Genußmittel, dann dürfte es sich für alle ganz gut Leben.
Ein Allheilmittel ist das nicht, gesund leben aber leider auch nicht immer.


Sonntag, 3. Juni 2012

Deutschland, deine Rassisten - Part II

Dass ich ein sensibles Thema mit meinem Blogpost angehe, war mir bewusst. Ich war auf Kritik und Feedbacks eingestellt, war interessiert, wie andere Leute das Thema sehen. Über Sarah Kuttner möchte ich mich jetzt nicht mehr auslassen, denn sie war eigentlich nur der Auslöser für meinen Post.
Meine Intention war zu zeigen, dass wir gewisse Worte in Deutschland haben, die wir seit Jahrzehnten ohne bösen Hintergedanken benutzen. Wir benutzen sie, weil sie nahezu anerzogen sind, immer gebräuchlich und für uns nicht als "verletzend" ersichtlich waren. Dass manchmal, wenn es um gewisse Dinge wie Süßwaren, Spielzeug und Bücher geht, vielleicht doch zu extrem reagiert wird.

Genaugenommen sind es doch nette Sachen, eine Süßigkeit oder ein Spielzeug; etwas was man gern hat.

Durch die Aufklärung über Rassismus haben wir doch viel verändert in unserem Sprachgebrauch, reden bewusster, achten auf verletzende Worte. Zumindest sollte es so sein. (Das gilt leider nicht für alle und ich fürchte, das werden wir auch nie ändern können).
Doch ist das Thema so extrem sensibilisiert worden, dass eine vorsichtige (und ich meine damit nicht böswillige) Meinungsäußerung gleich einen Aufschrei der "vermeintlich Toleranten" auslöst, die leider viel zu schnell ins Extremistische rutschen. Die Meinung wird nicht toleriert, sie wird verschrieen, verrissen. Es geht weit in den Extremismus, der keine Probleme löst, sondern ein Feuer schürt, was mit offenen Worten sicherlich eher geklärt würde, als mit Hetzreden oder Anklagen. Eine höflich geführte Diskussion erfüllt weit mehr ihren Zweck als Beschimpfungen. Nicht jedes Gespräch kann zu einer Übereinkunft führen, aber ist es nicht trotzdem immer einen Versuch wert?

Ja, der Titel und Text provozieren. Um aufzuwecken. Zu zeigen, dass ich kein Rassist bin und doch so schnell zu einem gemacht werden kann. Es gibt ständig noch Deutsche, die im Urlaub als "Nazis" betitelt werden. Ob sie nun die Sprache des Landes beherrschen, sich respektvoll benehmen, spielt keine Rolle. Wir haben eine schlimme Vergangenheit, die wir nicht wieder gutmachen können, die immer wieder anstößt. Die Gräueltaten, die damals passiert sind, können wir leider nicht rückgängig machen. Doch wir versuchen immer wieder, offen auf andere Nationen zuzugehen, miteinander zu reden, zu integrieren und zu zeigen, dass wir "damals" bereuen, wie leid es uns tut. Und es ist wichtig, dass wir das nie vergessen, damit es nie wieder passiert. Wir arbeiten daran, stetig und kontinuierlich. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Dieses Blog sollte kein spezielles Thema haben, es sollte vieles kritisieren, hinterfragen, sensibilisieren und Meinungsaustausch ermöglichen. Bei einfachen Sachen auch nur die Leser etwas amüsieren (z. B. die Vorstellungsrunde). Um andere Meinungen zu hören. Von anderen Menschen zu lernen. Etwas zu verbessern. Zu diversen Themen. Nun war ich doch gezwungen, einen zweiten Teil zu schreiben. Um meine Erfahrungen zu teilen. Und allen, die es im letzten Teil nicht verstanden haben, nun noch einmal eines deutlich vor Augen geführt wird:
Wir sind nicht alle Rassisten, nur weil wir manchmal veraltete Bezeichnungen haben, oder uns manchmal schwer tun, alles politisch korrekt zu bezeichnen. Denn wenn wir mal ehrlich sind, haben wir mittlerweile schon Schwierigkeiten, überhaupt irgendetwas zu äußern, was politisch korrekt ist. Haben Sie mal in Foren nach politisch korrekten Ausdrücken gesucht? Jeder hat eine andere Meinung hierzu, teilweise ist der Ansatz der Frage schon rassistisch in manchen Augen.

Bitte tut mir den Gefallen, geht in euch. Denkt nach! Es gibt soviel Leid auf der Welt, arme Menschen, die verhungern und verdursten. Die an einer Grippe sterben müssen, weil sie kein Geld für Ärzte oder Medikamente haben. Bitte helft eher dort, als euch über den Namen einer Süßigkeit aufzuregen. Geht gegen Nazis oder Rassisten vor, die die Gleichrangigkeit der Völker heute leider noch viel zu oft in Frage stellen. Damit lässt sich wirklich die Welt verbessern.

Einfach ein "Miteinander", ein "Hand-in-Hand", statt ein "Dagegen".

An sich ist es doch wichtig, wie wir von innen sind. Fehler und Macken haben wir alle. Die kleinen Mängel zu tolerieren, mit ihnen umzugehen, die großen Macken zu verbessern, all das macht uns erst menschlich!