Samstag, 18. August 2012

Unbegabt

"Das ist aber ein schönes Bild, so bunt. Soll das ein Herbstwald sein?"
"Nein, das ist eine Giraffe!"

So fing es an. Malen war nie meins. Unglücklicherweise malt man sehr viel in seiner Schullaufbahn. Eigentlich werden die Bilder immer anspruchsvoller... mit Fluchtpunkten und Aquarell. Und jeder meiner Klasse entwickelte sich weiter. Die Bilder wurden ausgehängt und die Eltern konnten stolz die Werke ihrer Kinder bestaunen. Meine Eltern nicht. Nie. Die Bilder verschwanden vor der Ausstellung auf mysteriöse Weise. Vielleicht auch Glück für meine Eltern, sonst hätten sie das Trauerspiel noch schön reden müssen.
Einmal sollten wir uns einen Arbeitspartner suchen und ein Portrait zeichnen. Mein Arbeitspartner hat danach nie wieder mit mir gesprochen.

Ton- und Holzfiguren waren da schon einfacher... die Arbeit mit nach Hause nehmen, das Häufchen Elend Mutter in die Hand drücken, die glücklicherweise ein besseres Händchen dafür hatte, und machen lassen. Sie hat eine glatte 2 dafür bekommen.

Es ist nicht so, als hätte ich nicht gewollt, aber ich konnte es einfach nicht. Das hält sich hartnäckig bis heute.

Man kann ja nicht alles können. Dafür könnte man ja sportlich sein. Nunja. Nein. Ich habe mir während des Sportunterrichts zwei Mal den Arm gebrochen. Nicht bei extravaganten Turnübungen, Stabhochsprung oder waghalsigen Figuren am Reck oder an den Ringen. Soweit wäre ich nie gegangen. Ich habe Geräteturnen ohnehin gehasst. Dieser blöde Bock wurde beim Daraufzulaufen immer höher... ein Wolkenkratzer und das vergleichsweise minimalistische Sprungbrett verschwindend klein. Grundsätzlich habe ich eine Sekunde vorher abgedreht und mich wieder hinten in die Schlange eingereiht.
Den Arm hatte ich mir beide Male beim Joggen gebrochen. Einmal bin ich ausgerutscht, das andere Mal gegen die Wand gelaufen. Ja, ich bin schon eine Sportskanone.
Ballspiele endeten in einer Katastrophe. Badminton hat sich mir bis heute nicht erschlossen: ein derart winziger Schläger für einen vergleichsweise großen Ball... Und das Netz... wieso muss da ein Netz hängen?
Brennball.. für mich ein winzig kleiner Ball, den man in der Unendlichkeit der Sporthalle aufheben - im schlimmsten Fall - fangen muss.
Bei Fußball endete der Spaß gänzlich, nachdem ich mit voller Wucht derart heftig angeschossen wurde, dass ich wie ein Pappmännchen zu Boden ging.

Sportfeste waren der Gipfel meiner Erniedrigung. Es gibt viele Fotos mit den Teilnehmern, die stolz ihre Ehren- und Siegerurkunden in den Händen halten. Von mir nicht. Ich war grundsätzlich froh, wenn ich es beim Weitsprung überhaupt in den Sand schaffte, beim Ballwurf niemandem den Ball vor den Kopf warf und beim Laufen die Endmarke erreichte. Mein ganzer Stolz war es, weder mich selbst, noch andere verletzt zu haben.

Aber es gab ja auch Musikunterricht. Angefangen beim Blockflötenspiel. Ich hasse Blockflöten. Dieses dissonante Gefiepe, bei dem man möglichst stolz drein blicken muss, während das Kind mit strahlenden Augen "Alle meine Entchen" zum Besten gibt. Ich habe mich erfolgreich gegen Blockflöten gewehrt und habe mich an dem Keyboard versucht. Nach einigen Übungsstunden und blutenden Ohren meiner Zuhörer gab ich es auf. Zum Wohle meiner Mitmenschen.
Beim Singen im Musikunterricht konnte ich glänzen. Dachte ich. Nach der 3. Stunde nahm unser Musiklehrer mich beiseite. Mit der Bitte, ab sofort nur noch die Lippen zu bewegen, ohne einen Ton zu erzeugen.

Musikalisch bin ich also auch nicht.

All das liegt lange zurück und ich habe mich nie unterkriegen lassen. Grundsätzlich probiere ich neue Sachen aus, um zu sehen, wie talentfrei ich genau in diesem Bereich bin. So weiß ich wenigstens, was ich alles nicht kann. Oder was ich weniger nicht kann.
Bälle, Musikinstrumente und Malwerkzeuge sind aus meinem Leben verschwunden. Ebenso wie eine Werkzeugkiste. Möbel zusammenbauen ist auch eher ein Nicht-Talent von mir. Eigentlich war es nur ein Nachttischchen mit 4 Brettern und 3 Schrauben. Es kostete mich einen Tag, ca. 1 Liter Blut. Schließlich war es fertig, hatte allerdings linkerhand einen Riss von rechts unten nach links oben. Die Kunst ist, es so hinzustellen, dass die Macke nicht mehr auffällt.

Kochen ist ebenso eines meiner vielen Nicht-Talente. Bekannte und Familie nehmen vorher ein großes Mahl ein, denn bei mir gibt es meistens Kleinigkeiten, die zwar gut aussehen können, aber weder satt machen noch besonders schmackhaft sind. Dafür gibt es bei mir genug alkoholische Getränke - als Wiedergutmachung - und zum Nachspülen.

Wenn man nicht-talentiert ist, sollte das größte Talent sein, all sein Nicht-Können charmant zu vertuschen. Es bedarf viel Humor. Und genau das kann ich: über mich selber lachen. Mich davon nicht beeindrucken lassen. Und wenn mich jemand fragt, was ich besonders gut kann, antworte ich: "Nichts. Aber das kann ich richtig gut und mit voller Leidenschaft."

Und dann schaue ich mit verträumten Blick aus dem Fenster und stelle mir vor, wie ich mit einer Gitarre in der Hand an den Ringen Kunststücke vollbringe und nebenher ein Nachttischchen zusammenbaue.





Dienstag, 14. August 2012

Sie rufen außerhalb unserer Sprechzeiten an...


"Vielen Dank für Ihren Anruf. Leider rufen Sie außerhalb unserer Öffnungszeiten an. Wir sind montags und mittwochs von 10:30 Uhr bis 10:45, dienstags und donnerstags von 11:00 Uhr bis 11:05 Uhr, nachmittags von 16:25 Uhr bis 16:26 Uhr zu erreichen. Freitags haben wir geschlossen."


Zaghafte Versuche zu angegebenen Zeiten sind zumeist erfolglos. Eigentlich hat man nur eine kleine Frage, benötigt eine Auskunft, möchte "nur kurz" etwas ändern. Aus solchen Situationen entsteht eine verzweifelte Verfolgungsjagd, exakt die Sprechzeiten zu erwischen, nicht in der Warteschleife zu landen oder das "Besetztzeichen"  hören zu müssen. In Normalfall gibt der Pessimist nach 3 Tagen mit den Worten "da erreiche ich eh keinen" auf. Der Optimist lässt noch einige Nerven und versucht sein Glück beharrlich ein paar Tage länger. Erfolglos.


Bei solchen Anrufen neigt man dazu, sich ein menschenleeres Großraumbüro vorzustellen, in dem zwar Telefone klingen, das Läuten aber in den verlassenen Hallen leise erstirbt, während Steppenläufer wie in einem schlechten Western durch die Räume fliegen.


Da mittlerweile Frauen sowie Männer ganztags arbeiten, wird die kleine Erledigung zu einem Spießroutenlauf. Gewisse Termine werden auf Urlaubstage verteilt, manches bleibt ganz auf der Strecke oder wird per E-Mail abgearbeitet. Man darf aber nicht meinen, die kurze elektronische Nachricht sei eine Erleichterung. Etwa 3 Wochen später - nachdem diese Aufgabe in unserem Gehirn in den bunt bemalten "Erledigt"-Ordner verschoben wurde - kommt eine elektronische Antwort, dass


a) das folgende 20 Seiten lange Formular ausgefüllt und postalisch zurückgeschickt werden muss


b) man ein Postident benötigt, der worst case!


So wird die Aufgabe wieder in den schwarz behangenen "To-Do"-Ordner unseres Gehirns verschoben. Nun gut, eigentlich wird das Formular sofort im "Papierkorb" abgelegt - ein automatisierter Vorgang.


Das Postidentverfahren an sich ist eine gute Sache - wären da nicht die Öffnungszeiten der Post, die für die arbeitende Bevölkerung nicht geschaffen sind. Und ich möchte damit nicht sagen, dass die Postbeamten nicht arbeiten. Sie sind nämlich sehr wohl vorher und nachher anwesend, nur nicht für den Kunden. Nun könnte man auf die pfiffige Idee kommen, seine Mittagspause zu opfern und schnell zur Post zu fahren. Doch auch hier bleibt man erfolglos, denn die Post hatte die gleiche Idee mit der Mittagspause. So muss man sich entweder samstags früh aus dem Bett hieven oder man verschiebt auch die Aufgabe in den Papierkorb.


Noch schlimmer sind allerdings die Wartezeiten für Telefonanschlüsse. Ein Wunschtermin kein Problem, sofern man den ganzen Tag - und zwar von 08:00 Uhr bis 18:00 Uhr zu Hause sitzt, um auf den Telefon- und/oder Internetanschluss zu warten.
Duschen und längere Sitzungen auf der Toilette sind ausgeschlossen, denn wir können uns sicher sein, dass es genau in dem Moment, wenn man sich auf dem WC häuslich eingerichtet hat oder man mit shampoonierten Haaren unter der Dusche steht, klingelt. Und zwar nur einmal. Reagiert man nicht in den nächsten 20 Sekunden, ist der Termin verfallen und man findet ein fröhliches Zettelchen im Briefkasten mit der Bitte um einen neuen Termin.

Erfahrungsgemäß kommt mein Anschlussmensch NIE vor 18:00 Uhr, das heißt, ich habe vergebens einen Tag Urlaub genommen, den ich nicht mit Freizeitaktivitäten füllen konnte, weil der Herr ja jederzeit hätte eintreffen können. 
Hätte ich ein 20-seitiges Formular, hätte ich dieses jedoch bereits ausfüllen können. Aber nicht abschicken. Ich kann ja nicht aus dem Haus. Jedes - ja, wirklich jedes Mal in solchen Fällen frage ich mich, wo das Problem einer vernünftigen Terminvergabe liegt. Fährt der Fahrer nach Lust und Laune los? Überlegt er während der Fahrt seine Route? Steht er morgens auf und wenn die Sonne scheint, verläuft die Tour von Süden gen Norden? Bei Gewitter von Osten nach Westen? Sollte sich diese Abwicklung jemandem erschlossen haben, möge er mir bitte zum allgemeinen Verständnis einen Kommentar hinterlassen - oder für immer Schweigen.


Behördliche Einrichtungen ... Wir nähern uns langsam der Geduldsgrenze. Die Publikumszeiten sind derart geschickt gewählt, dass man meinen möchte, die Ämter wollen gar nicht, dass ich persönlich vorbei komme! Auch nicht anrufe. Am besten lässt man sie komplett in Ruhe. Das gleiche Theater wie bei der Post, die Büros sind voll, die Leute weigern sich nur, außerhalb der Sprechzeiten ans Telefon zu gehen. Unglücklicherweise hat man bei Ämtern im Normalfall keine Wahl, man muss nunmal. Wieder ein Urlaubstag dahin.


Was aber machen die unglücklichen Mitarbeiter selber, wenn sie zum Amt müssen? Bevor wir nächstes Mal einem Beamten grämig gegenübersitzen, sollten wir ein süffisantes Lächeln aufsetzen und uns sagen, dass auch er sich Urlaub nehmen muss, wenn er etwas Wichtiges in einem anderen Amt zu erledigen hat. 

Und den Leuten der Telefongesellschaft wünsche ich - ganz heimlich - viel Post mit 20-seitigen Formularen. 





Freitag, 10. August 2012

Stilbruch

Es ist nicht so, als wäre ich erzkonservativ. Aber ich finde, unserer Gesellschaft ist etwas Wichtiges verloren gegangen. In einem langsam schleichenden Prozess. Und nun findet man ihn nur noch selten: Stil.

Zuerst aufgefallen ist es mir, als ich vor Jahren Karten für ein klassisches Musical hatte. Ich hatte mich in meinen feinsten Zwirn geschmissen, man geht ja nicht ins Kino, sondern eine Abendveranstaltung und möchte entsprechend angemessen gekleidet sein. Unglücklicherweise war ich der wohl einzige Besucher mit dieser Meinung. Meine Begleitung und ich standen abseits - ein wenig aussätzig könnte man sagen. Die Leute - in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen gekleidet schauten uns an, als wären wir irgendwo falsch abgebogen. Wir schauten zurück. Und gingen hoch erhobenen Hauptes durch den Abend.

Es waren weniger die Blicke, die mich verärgerten. Wir haben etwa 100 € pro Karte bezahlt, es war ein Samstag Abend, man war vorher in einem guten Restaurant essen und ich hatte verdammt noch mal etwas mehr Stil an diesem Abend erwartet. Für ein Musical muss niemand ein Ballkleid oder Smoking anziehen, aber Jeans und Turnschuhe sind doch nun wirklich eher ... Kino. Bei den Eintrittspreisen nicht mal mehr das, aber gut.

Neuer Plan: nächstes Mal noch mehr Eintrittsgeld bezahlen und an einer Silvestergala in einem 5 Sterne-Hotel teilnehmen. Und tatsächlich: die Damen in Abendkleidern, die Herren in Smokings, wundervoll gedeckte Tische. Es war ein Abend wie im Bilderbuch. Links ein rotes Ballkleid, rechts ein teurer Smoking, dort vorn...ausgelatschte Turnschuhe, zerrissene Jeans und ein Feinripp-Unterhemd?! Was zum Teufel...? Ich schaute weg... möglicherweise hatte ich ein Gläschen Wein zu viel. Aber in der Tat, dieses Outfit gehört zu einer Gruppe junger Leute Anfang 20. Ich orakele heute noch, ob die Karten für den Abend so teuer waren, dass sie ihre letzten Lumpen anziehen mussten oder sie eine Wette verloren hatten. Auf jeden Fall unpassend. Setzen, 6!
Und warum sagt das Hotel nichts dazu? Wie in Kasinos zum Beispiel. Ein Sakko drüber hätte es schon getan. Es ist ja nicht so, als könne man Jeans nicht auch chic kombinieren.

Stil ist aber nicht nur angemessene Kleidung zu einem bestimmten Ereignis:
  • Stil bedeutet, nicht stundenlang an seinem Smartphone herumzutippeln, während andere dabei sind. 
  • Stil bedeutet, sich auch mal ohne "Ey! Alter! Sachma! Boah!" oder "Leck mich am Arsch" ausdrücken zu können 
  • Stil bedeutet, nicht einfach dazwischen zu platzen, wenn man telefoniert. Hier muss ich kurz unterbrechen. Denn auch hierzu habe ich ein hervorragendes Beispiel. Ich arbeite in einem Großraumbüro und es ist nicht zu glauben, aber wahr, hier gibt es auch Telefone. Natürlich bemüht man sich, leise zu reden, um andere nicht zu stören. Aber eigentlich ist das Gespräch doch für andere vernehmbar. Das hat mein Chef sich zunutze gemacht und so selten er mir was zu sagen hatte, so häufig fing er Gespräche an, sobald ich am Telefon war. Nun darf man sich nicht vorstellen, dass er neben mir stand und ins linke Ohr gesprochen hat. Die Mühe war es ihm nicht wert und so rief er mir aus der anderen Ecke des Büros fröhlich seine Kommentare zu. DAS IST NICHT STILVOLL! 
  • Stil bedeutet eigentlich auch, sich sonntags chic zu machen und spazieren zu gehen. Allerdings bin ich in dieser Hinsicht sehr froh über den ausgestorbenen Sonntagsstil. Das war mir dann doch zu viel des Guten. 
  • Stil bedeutet, manchmal herausgeputzt und mit strahlenden Augen eine Veranstaltung beizuwohnen, auf die man sich schon eine ganze Weile gefreut hat. 
  • Stil bedeutet, sich kurzzeitig mal ein wenig Luxus zu gönnen und ihn zu genießen. Und das bedeutet nicht den Kellner anzupöbeln mit den Worten "Herr Ober, da schwimmt was in meinem Sekt" mit der Erwiderung "Das ist Blattgold ... in Ihrem CHAMPAGNER!"
  • Stil ist auch Benehmen, Respekt den Mitmenschen gegenüber. Ein bisschen Knigge tut keinem weh!


Und Stil bedeutet nicht, dass man reich sein muss, um stilvoll zu sein. Denn es handelt sich glücklicherweise um eine Eigenschaft, die man nicht unbedingt käuflich erwerben kann. Man kann den Leuten die Auffassung "Es war teuer, ich kann es mir leisten und habe damit jetzt Stil" ansehen. Da stehen sie. In einem Zebramantel oder Pandaschuhen oder Gott weiß was für einem unnötigen und ausgefallenen Zeug. Aufgespritzten Lippen, gelifteten Gesichtern, gerichtetem Kinn, gestrafften Brüsten, verlängerten Beinen, gebotoxter Stirn, angelegten Ohren und gekürzten Näschen. Ja, man übersieht sie nicht. Nur sind sie nicht stilvoll. Allenfalls bedauernswert. Nicht annähernd können diese Leute  Roger Moore oder Katherine Hepburn das Wasser reichen.

Filme aus den 60er Jahren sind überfüllt mit Charme und Eleganz. Die Frau stand in einem hübschen Kleid und Pumps vor dem Herd, der Mann rauchte seine Zigarre/Pfeife und hatte Mut zum Hut. Nicht wie heute, einer Zeit, wo sich nach einem langen Arbeitstag die Jogginghose angezogen und die Flimmerkiste angeworfen wird. Allerdings war das Weltbild auch ein anderes und Frauen gehören eben nicht mehr nur allein hinter den Herd und Männer sind auch nicht mehr die Alleinverdiener. In diesem Fall: ein klares Plus für die heutige Zeit. Aber es geht ja hier auch gar nicht um die Emanzipation. Sondern um die stets präsente Eleganz, die heute durch das Legere und Coole in den Hintergrund gerückt ist.

Wie schön wäre doch ein stilvoller Mix aus beidem - mal locker und cool, mal elegant und chic.


In diesem Sinne: ein stilvolles Wochenende!