Freitag, 23. November 2012

Der nimmergrüne Daumen

Der größte Alptraum einer Pflanze ist wohl, in meiner Wohnung zu landen. Egal, wie grauenvoll ihr Leben vorher war, bei mir wird es qualvoll enden.

Das liegt aber nun nicht daran, dass ich Pflanzen nicht mag, sondern an meinem mangelnden grünen Daumen.
Aus Respekt vor der Pflanzenwelt habe ich daher äußerst wenig Grünzeug in meiner Wohnung stehen, um möglichst wenig Schaden anzurichten.

Nun gibt es aber immer Menschen, die - als höflicher Gast - ein Mitbringsel mitschleppen, und was gibt es schöneres als eine Grünpflanze. Denn jeder mag ja Pflanzen und Pflanzen kann man überall hinstellen, egal wie viele Gäste vorher schon Pflanzen mitgebracht haben. Da ich das mittlerweile schon kenne, bitte ich die Gäste bei Partyeinladungen von botanischen Geschenken abzusehen.
Offensichtlich bringt das meine Gäste auf die Idee, es wäre ein Wink mit dem Zaunpfahl. Die Party beginnt und mein Wohnzimmer gleicht kurze Zeit später einem botanischen Garten, alles steht voll mit irgendwelchem Grünzeug, von dem ich das meiste nicht kenne, geschweige denn den Namen weiß. "Das ist sowas von pflegeleicht" höre ich dann immer, "geht nicht kaputt, hab ich auch". 
Also bedanke ich mich artig und sage "Toll, so eine wollte ich immer schon mal haben, so eine .... grüne Pflanze!"
"Das ist eine Zamioculcas zamiifolia!"
Natürlich!

Den nächsten Tag bin ich damit beschäftigt, geeignete Orte für die Pflanzen zu finden:

- nicht zu sonnig,
- nicht zu schattig,
- ein bisschen Schatten, aber nicht zu viel,
- feucht, aber nicht zu warm (Kühlschrank?),
- morgens und abends dunkel, mag Mittagssonne,
- trinkt nur Wasser von glücklichen Hähnen. Aber nicht zu kalkhaltiges Wasser, denn der guten Pflanze ist unser Trinkwasser offensichtlich nicht gut genug.

Während ich in der ersten Woche verzweifelt versuche, die Pflanzen, deren Namen ich mir nie merken werde, am Leben zu erhalten, sind 2 bereits welk, eine hat Hoffnung und die anderen warten nur noch auf ihren viel zu frühen Tod. Eine Rücksprache mit dem Spender der Pflanze besagt "Um Himmels willen, die darf man nur alle 4 Wochen gießen!". Ich warte also und zähle die Wochen. Nach 3 Wochen habe ich vergessen, wann 4 Wochen um sind. Nach 6 Wochen sehe ich nur noch knusprig braune Blätter, ich habe einen weiteren Verlust zu vermelden.

Während mein Zimmerbrunnen wöchentlich einen großen Schluck Wasser bekommt, steht daneben eine Geschenkpalme (ich habe keine Ahnung, was für eine Gattung das ist) mit fast neidischem und doch traurigen Blick. Sie wurde wieder vergessen. Drei Nächte später fällt es mir auf, sie sah irgendwie unglücklich aus. Ich springe auf und gönne ihr im Halbschlaf 2 Liter Wasser. Zwei Tage später ist sie ertrunken.

So hat mein nimmergrüner Daumen wieder einmal das Leben von 4 Pflanzen gefordert.

Ganz besonders erfreulich sind vermeintlich gut gemeinte Gastgeschenkspflanzen, die mit kriechenden Schädlingen besiedelt sind. So hat sich meine Halloween-Geschenk-Pflanze zu einer eigenen Gruselparty entwickelt. Als ich ihr nach 2 Wochen Beachtung schenkte, sah ich vor Spinnweben und winzig kleinen weißen Krabbeltierchen die Pflanze nicht mehr. Ein Blick ins Internet verriet mir, dass diese Pflanzen (deren Namen ich Buchstabe für Buchstabe mühsam von dem Schildchen abgeschrieben hatte, da ihn kein Mensch der Welt auszusprechen vermag) besonders anfällig für Spinnmilben sind und man Acht geben muss, dass diese nicht auf alle anderen Pflanzen überspringen. Glücklicherweise waren die Nachbarspflanzen bereits tot und die vermilbte Halloween-Pflanze ging gleich mit über den Jordan.

Einzig und allein mein von mir eigens ausgesuchter Fikus irgendwas hält tapfer die Stellung und trotzt meinem schlechten Pflegeverhalten. Er hält 2 - 3 Wochen ohne Wasser aus, steht im Schatten und überhaupt hat er alles das nicht, was er laut Schildchen haben sollte. Und es geht im prächtig. Er wächst und grünt, schädlingsfrei. Wenn er Wasser benötigt, wirft er ein braunes Blatt ab, das mich dezent darauf hinweist, dass er unbedingt mal wieder gegossen werden muss. Die non-verbale Kommunikation funktioniert wunderbar. Überhaupt weigere ich mich, mit Pflanzen zu reden. Das gilt für alles ohne Augen, was mich nicht anguckt, wird toleriert, aber nicht bespaßt. Ich werde meinem Schnitzel nicht sagen, wie zart es ist und wie gut es schmeckt und ich werde meiner Pflanze weder mein Bedauern noch meinen Zuspruch ausdrücken.

Mittlerweile sieht es wieder bereinigter in der Wohnung aus, genau genommen mag ich es auch gar nicht, wenn jeder Quadratzentimeter mit einer Pflanze zugestellt ist, zumal sie bei mir spätestens nach ein paar Monaten ohnehin unansehnlich braun aussehen.

Zwei Wochen später sitze ich daheim und erwarte meinen Besuch. Es klingelt und ich werde mit den Worten begrüßt: "Schau mal, ich hab dir einen neuen Gummibaum besorgt, du hast ja gar keine Pflanzen in deiner Wohnung...!"

Freitag, 16. November 2012

Die Wellenlängen des Humors

Humor ist etwas ganz wundervolles. Und Humor ist wichtig, ganz besonders im Alltag. Ein herzliches Lachen kann die Laune schnell heben, sympathisch sein, anstecken.

Kann. Manchmal trifft man allerdings auf Menschen, die einen anderen Humor haben. Und wenn man Pech hat, sitzt man in großer Runde beisammen, macht einen kleinen Scherz und lacht laut los. Allein. Während die anderen in der Runde fassungslos gucken. Betretenes Schweigen, leises Hüsteln, beschämtes Räuspern. Und so schnell der Lachanfall eingetreten ist, so schnell verhallt er dann auch wieder, das Gesicht wird in Normalposition gerückt, der Blick gesenkt. Die Überlegung, ob es anrüchig war. Zu trocken. Zu albern? Zu flach?  

Kurze Zeit später erzählt einer der Anderen eine Anekdote. Und während bei der Pointe so ziemlicher jeder in kreischendes Lachen verfällt, sitzt man mit irritiertem Blick da und überlegt, worüber man lachen soll. Man möchte nicht unhöflich sein. Man lächelt unehrlich mit, während das Gehirn die Situation ein weiteres Mal durchspielt, um herauszufinden, was nun lustig an der Sache war. Zumindest weiß man nun, sich mit seinem Humor entsprechend zurückzuhalten und ihn besser dort anzubringen, wo er auch mit offenen Armen empfangen wird. 
Interessanterweise liegt dort doch gleich mehr Sympathie, denn ein Mensch, mit dem wir herzlich lachen können, und zwar über genau die gleichen (flachen oder nicht flachen) Witze, ist uns sofort gefällig. Gemeinsam herzhaft lachen verbindet, birgt eine gewisse Verbundenheit. Zugegeben, die Menschen in meinem Umfeld bedürfen eine große Portion Humor, denn meiner wechselt von trocken zu albern, je nach Stimmungslage eröffnet sich eine andere Art desselben. Ein Abend mit einem derben Lachflash ist ein gelungener Abend.

Manchmal ist es nicht nur der Humor, alleine das Lachen an sich bedarf schon einiger Worte, denn es gibt so viele unterschiedliche Lacher, die - je nach persönlichem Empfinden - nervend oder ansteckend sein können.

Da gibt es den leisen Lacher, der Blick ist auf den Boden gerichtet, das Lachen nahezu geräuschlos und man sieht nur an dem regelmäßigen Zucken des Körpers, dass dort irgendetwas in ihm stattfindet. Ob er lacht oder weint, findet man meist erst später raus.

Der Ernie-Lacher: muss nicht beschrieben werden, für mich ein äußerst ansteckendes Lachen, wenn aus dem Rachen heiteres "Krrrcchhkrrchhhkrcchhhh" ertönt.

Der Grunzer kann äußerst nervend sein, ein merkwürdiges Lachen, anfangs ziemlich erschreckend, vielleicht ist es gewöhnungsbedürftig. Grunzer lachen meist auffallend viel, wahrscheinlich um stolz jedem ihre Lache zu präsentieren.

Der Schreilacher: Wie auch immer er es schafft, zwischen den Lachattacken noch Kraft zum Schreien zu nehmen, er verdient auf jeden Fall Respekt für dieses Kunststück. Kann ansteckend sein, muss aber nicht. Bei Kopfschmerzen sollte man von humoristischen Einlagen im Gespräch absehen, da der Schreilacher einen Geräuschpegel von bis zu 80 Dezibel erreichen kann.

Der Röchler: auch eine äußerst interessante Art des Lachens, er lacht so herzlich, dass er kaum noch Luft bekommt und beginnt, heftig nach selbiger zu schnappen. Die Ansteckungsgefahr ist aufgrund der lustigen Geräusche und der Herzlichkeit ziemlich hoch.

Der herzhafte Lacher: einfach schön. Ehrlich, herzlich, normale Lautstärke ohne merkwürdige Geräusche. Ein Lachanfall, von dem man sich mitreißen lassen muss.

Aber egal wie man lacht, der heftigste Lachanfall kündigt sich letztlich doch immer in den Situationen an, in denen es absolut unpassend ist und man nicht einmal selber Verständnis dafür zeigen würde. Zum Beispiel in einer extrem wichtigen, seriösen Besprechung. Ein falsches Wort oder ein Versprecher und schon kommt er auf, staut sich an, der Druck im Bauch wird größer, die Mundwinkel ziehen sich nach oben, egal, wie fest man die Lippen aufeinanderpresst. Die Augen füllen sich mit Tränen (meistens ausgelöst durch einen heftigen Biss auf die Zunge), der Druck presst einen merkwürdigen Laut aus dem Inneren. In diesem Moment kann man alles tun, nur nicht laut loslachen. Oder seinen Nachbarn anschauen, der im besten Fall ebenfalls um Luft ringt. Ein einziger Blick reicht, um den aufgestauten Druck von beiden Seiten in einem monströsen Lachanfall platzen zu lassen.

Fassungslose Blicke von allen Seiten. Betretenes Schweigen, leises Hüsteln, beschämtes Räuspern.

Wenigstens lacht man dieses Mal nicht allein.

Freitag, 9. November 2012

Stancer´s "Ignoriert"

Ich bin eher ein stiller Leser. Lustige Bücher und anderes Geschriebenes lese ich mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen.
Äußerst selten zwingt mich ein Text zu einem lauten Auflachen.

Und wenn ein Text genau das schafft und es erreicht, dass man sich an den beschriebenen Orten an jene Geschichte erinnert - mit einem inneren Schmunzeln, dann darf er auf keinen Fall ignoriert werden.

Ich freue mich sehr, einen weiteren fabelhaften Blogpost von Stancer präsentieren zu dürfen!

Viel Vergnügen!

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Ignoriert


„Herr Doktor, keiner beachtet mich.“ - „Der nächste bitte!“ - sicher haben auch Sie gelacht über dieses Kleinod menschlicher Lachfaltenkultur, oder? - Ich nicht. Dabei bin ich nicht von Natur aus humorlos, nur ist dieser Witz kein solcher für mich, sondern bitterer Ernst: Ich werde ignoriert, immer schon, von frühester Kindheit an, von allen; selbst meine Eltern sprachen mich früher mit dem Namen des Wellensittichs an, weil sie sich meinen eigenen offenbar nicht merken konnten oder wollten, gut, das war immer noch besser, als wenn sie „he du da“ oder einfach „Dings“ zu mir gesagt hätten, und mit der Zeit gewöhnte ich mich daran, auf Hansi zu reagieren.
Im Supermarkt an der Wursttheke: Während Mutti gekochten Schinken, Kalbsleberwurst und Thüringer Mett kauft, angelt die rosige Fleischereifachverkäuferin zwischen Abwiegen und „sonst noch etwas“ eine Mortadellascheibe mit Kichergesicht-Intarsie aus der Auslage und reicht sie mit langer Gabel dem strahlenden Kind hin, das in der Kinderablage des Einkaufswagens sitzt; es stopft sie genüsslich in sein drolliges Kindermündchen und bedankt sich brav, kauend, nachdem Mutti „was sagt man?“ gemahnt hat. - Ich habe mich nie bei der Wurstwiegerin bedankt, was nicht etwa Folge einer anerzogenen Unhöflichkeit war, nein, es gab einfach keinen Anlass. Statt mich, wie alle anderen Kundenkinder, mit grinsenden Mortadellascheiben zu versorgen, blickte sie durch mich hindurch, als ob statt meiner Muttis Einkaufstasche auf dem ausklappbaren Kindersitz gethront hätte; mein Blick, der jeden bettelnden Labrador farblos erscheinen ließ, prallte an ihrem undurchdringlichen Schutzschild ab.

Supermärkte blieben eine Problemzone, bis heute, da ich selbst und ohne Muttis Beistand einkaufe. „Möchten Sie mal den französischen Côte du Rhone probieren?“, fragt der junge Mann hinter seinem Probierstand in der Weinabteilung mit einnehmenden Lächeln. Gerne würde ich, nur galt die Frage nicht mir, sondern einem gehetzt blickenden Anzugträger, der sie überhört hat und mit Blick auf seine Datenpistole (vulgo: Blackberry) in die Tiefkühlabteilung eilt. Ich verlangsame meinen Schritt, als ich mich dem Probierstand nähere, blicke den jungen Mann fest an. Der widmet sich ganz seinen Probiergläsern, wienert an ihnen herum, hält sie prüfend gegen das Licht, und öffnet eine neue Flasche. Ich bleibe direkt vor dem Stand stehen, starre abwechselnd ihn und die Weinflaschen an. Er wienert weiter.

Ich räuspere mich laut vernehmlich, er putzt seine Theke. „Verzeihung“, setze ich an, „darf ich vielleicht mal von dem...“ Er holt sein Telefon aus der Tasche und ruft jemanden an, vielleicht seine Freundin, „...ganz schön viel los heute, aber im Moment ist etwas Luft“, höre ich ihn säuseln. Ich gebe auf. Kaum habe ich den Probierstand verlassen, höre ich ihn wieder fragen: „Möchten Sie mal...“

Ein echtes Kindheitstrauma war das Mannschaften wählen im Sportunterricht: Zwei Schüler durften abwechselnd die Spieler ihrer Basketballmannschaft wählen; am Ende blieben immer der dicke Klaus P. und ich übrig. Noch heute empfinde ich eine tiefe Abscheu gegenüber allen Sportarten, bei denen ein Ball in, durch oder über ein Netz zu bringen ist.

Es ist erwiesen: Essen in einem guten Restaurant setzt Glückshormone frei, erst recht in geselliger Runde mit Freunden - nur nicht bei mir. Während sich alle anderen den kulinarischen Genüssen hingeben, den Teller fast schon leer gegessen haben, sitze ich vor einer freien Fläche und warte. „Vorzüglich, möchtest du mal probieren?“ werde ich von links gefragt. „Nein danke, ich bekomme ja gleich“, antworte ich leicht gereizt. Gleich - erst die Nachfrage beim Kellner offenbart, man hat mich vergessen. Mit halbstündiger Verspätung verzehre ich schließlich missmutig meine Schweinemedaillons mit Rotweinsoße, alle anderen sind schon bei Dessert und Kaffee angelangt.

Ich werde ignoriert - die Liste der Beispiele ließe sich nahezu endlos fortsetzen: Am Bierstand auf dem Stadtfest darbe ich stundenlang durstig, während die Menschen links und rechts neben mir zügig bedient werden; in der Dankesrede des Chefs nach erfolgreichem Abschluss des Projekts kommt mein Name nicht vor, und bei Facebook habe ich keine Freunde. Gut, sonst auch nicht. Wäre ich Filmschauspieler geworden, würde im Abspann immer genau ein Name fehlen, während die Namen sämtlicher Statisten und derer, die nach den Dreharbeiten die Klos geputzt haben, akribisch aufgelistet sind.

Aber es hat auch Vorteile: Mit unangenehmen Sonderaufträgen beauftragt mein Chef stets nur meine Kollegen; ich kann ungehemmt mit sechzig durch die Tempo-Dreißig-Zone fahren, die Blitzanlage erwischt immer nur den Wagen hinter mir; Hunde betteln nur am Nachbartisch; niemand fragt mich, ob ich eine Obdachlosenzeitung kaufen möchte, und die Jungs auf dem Bahnsteig, denen noch zwei Euro für ihre Fahrkarte nach Leverkusen-Mitte fehlen, behelligen mich nicht. Selbst Grippeviren meiden mich: Während die halbe Abteilung schnieft oder krank im Bett liegt, sitze ich bester Gesundheit im Büro und rette die Welt.

Vermutlich wird eines hoffentlich fernen Tages der Sensenmann alles um mich herum niedergemäht haben, während ich, im Alter von Johannes Heesters‘ Vater und zahnlos, auf meiner Mortadellascheibe herum lutsche. Und sollte er mich doch versehentlich erwischen, so wird auf meinem Grabstein folgende Inschrift eingemeißelt sein: „Grabstelle frei, Informationen bei der Friedhofsverwaltung unter Telefon...“


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Quelle: http://stancerblog.blog.de/2011/04/23/ignoriert-11046280/