Sonntag, 25. August 2013

Aufgeflogen

Endlich Urlaub! Und die ultimative Entspannung findet sich bei mir in Fernreisen - am feinen Sandstrand mit glasklarem Meer, Cocktails, gutem Essen und viel Sonne.

Doch leider - da sich mein Kindheitswunsch nicht erfüllt hat und wir uns heute immer noch nicht innerhalb kürzester Zeit an einen beliebten Ort beamen können - muss man vorher die Tortur der langen Anreise in Kauf nehmen. Je nach Fluggesellschaft und Budget kann man entspannt und glücklich am Reiseziel ankommen... oder völlig entnervt mit zerknirschtem Gesicht, hochgezogener Lippe und gefletschten Zähnen. Glücklicherweise war es dieses Jahr Letzteres und somit habe ich genug Stoff, diesen Blogbeitrag zu schreiben.

Einchecken.
2 Tage vor dem Flug überzieht ein Lächeln meine Lippen. Habe ich doch die Möglichkeit, mich direkt online einzuchecken und muss nicht, wie alle anderen Leute, 2 Stunden vor Abflug in der Warteschlange vor dem Schalter stehen und hoffen, dass ich noch zeitig einchecken kann.
Ich zücke mein internetfähiges Mobilgerät und tippe freudig die Website der Fluggesellschaft - nennen wir sie mal C. - ein. Dort erfahre ich, dass ich erst 24 Stunden vorher online einchecken kann. Kostet 20 €. Kostenlos wird es erst, wenn ich 12 Stunden vor Abflug einchecke. Ich bin kein Pfennigfuchser, aber ich kann warten! Ich sehe es auch nicht ein, für eine teure Fernreise noch einen Aufpreis von min. 500 € für ein Upgrade zu bezahlen, denn andere Fluggesellschaften haben in der Vergangenheit gezeigt, dass komfortables Reisen in der Holzklasse möglich ist.

12 Stunden vor Abflug werfe ich erneut einen Blick auf die Homepage, grinsend und in der Gewissheit, dass kaum jemand so blöd ist, die zusätzlichen Kosten auf sich zu nehmen und ich damit die freie Platzwahl habe.

Ich ergattere den letzen Fensterplatz, alle weiteren sind komplett ausgebucht, offensichtlich verdient C. hier eine Menge Geld mit der Vorreservierung der Sitzplätze.

Nun kann nichts mehr schief gehen. Ich steige in die Bahn (lobend sei hier das Zug-zum-Flug-Ticket erwähnt) und fahre pünktlich gen Flughafen. Die Bahn enttäuscht mich nicht, ich erreiche 2 1/2 Stunden vor Abflug den Flughafen, suche mein Terminal mit den Schaltern der Fluggesellschaft C. Ich laufe an einer 1-km-langen Warteschlange voll ungeduldiger Reisender vorbei, werfe von weitem einen Blick auf die Schalter und stelle fest, ich bin am Ziel. Ein süffisantes Lächeln legt sich auf meine Lippen. Ich habe ja bereits eingecheckt und muss nun nur noch mein Gepäck aufgeben. Ich überhole die komplette Warteschlange. Komme vorn an den Schaltern an. "Gepäckaufgabe" steht auf dem Schild zu meiner linken, 2 Leute stehen am Schalter. Mein Grinsen wird breiter. Dann schaue ich hinter die 2 Leute. Das Ende der Schlange zur Gepäckaufgabe ist nicht sichtbar. Mein Grinsen verschwindet, die Mundwinkel kippen automatisch nach unten. Mürrisch begebe ich mich 600 m zurück - zum Ende der Wartenschlange. Kann ja nicht lange dauern, die haben ja schon alle eingecheckt. Als eine Mutter vor mir ihren Kindern sagt "das ist das letzte Butterbrot, was ich bei habe", werde ich stutzig.
1 Stunde später bin ich auf 300 m an den Schalter herangerückt. Hinter mir eine Familie mit einer nörgelnden älteren Dame "Warum haben wir dann überhaupt einen Online-Check-In gemacht?", vor mir die quengelnden Kinder. Meine Urlaubsstimmung neigt sich dem Ende.
Eine weitere halbe Stunde später habe ich es fast geschafft, noch 4 Leute stehen vor mir. Dann ruft eine Mitarbeiterin der Fluggesellschaft mein Reiseziel aus, mit der Bitte, sofort mitzukommen, damit wir den Flieger nicht verpassen. Knapp 100 Leute verlassen ihren Plätze in den Warteschlangen und strömen auf die verdutzte Dame zu.
Ich stehe hinten in der neuen Schlange. Vor 100 Leuten, die noch einchecken müssen. Und so warte ich. 30 Minuten später stehe ich endlich mit gefletschten Zähnen vor einem Schalter vor einem überraschten Mitarbeiter der Fluggesellschaft C. "Sie müssen ja nur ihr Gepäck aufgeben?! Warum stehen Sie denn nicht an dem Schalter "Gepäckaufgabe" an, da wären Sie ja viel schneller dran gekommen!" Gedanklich springe ich über den Schalter und flitsche ihm mit meinen Pass auf die Nase. Stattdessen deute ich aber nur auf seine Kollegin, er zuckt die Schultern und gibt mir zu verstehen, ich müsse mich beeilen. Das Boarding hat bereits begonnen.

Ich gehe Zeitschriften shoppen. Denn bekanntermaßen werden - so wie immer - die Sitzreihen zuerst geboardet, in denen ich nicht sitze. So auch dieses Mal. Nach erfolgreichem Zeitschriften-Shopping ist die Wartehalle bereits halb leer gefegt und gerade als ich eintreffe und boarden will, bekomme ich zu hören: "Sie nicht! Sie sind noch gar nicht aufgerufen."  Ich trolle mich zurück. Protesthalber steige ich als letzter ein.

Ich sitze. Endlich. Oder leider. Eigentlich ist es mehr ein Hocken. Bei einem 10 1/2 Stunden Flug hatte ich mir eine Maschine gewünscht, die wenigstens so etwas wie Beinfreiheit anbietet. Auch in der sogenannten Holzklasse.

Nachdem ich meine Beine unter dem Sitz des Vordermanns verstaut habe - mit dem erfolglosen Versuchen, dass meine Knie nicht am Vordersitz entlang scheuern - rollen wir endlich los.

Ich freue mich auf einen Rotwein - zur Beruhigung. Eine Durchsage erklärt mir, dass alkoholische Getränke nicht im Preis einbegriffen sind (außer 1 Willkommenscocktail). Wein kostet 5 €. Ich weine leise vor mich hin.

Die Anschnallzeichen erlischen. Endlich - zurücklehnen und den Flug genießen, soweit es denn geht. Ich drücke das Knöpfchen, um meinen Sitz die möglichen 3,5 cm nach hinten zu neigen. Nichts passiert. Ich drücke, ich ziehe, ich schiebe und klingel nach 30 erfolglosen Versuchen nach der Stewardess. Ein verknautschtes zusammengekniffenes Gesicht ohne den Anflug eines Lächeln taucht vor mir auf. Ich beschwere mich ob des kaputten Sitzes. Die verständnislose Antwort schmettert mir entgegen "Sie sitzen ja auch vor dem Notausgang, da gehen die Sitze nicht zurück!" Während ich noch fassungslos stammel, dass ich das so nicht gebucht habe, schwindet sie bereits zurück. Wieder weine ich leise vor mich hin. Kein Wein, kein Zurücklehnen und bereits nach 1 Stunde wunde Knie.

Nach 2 Stunden gibt es immerhin etwas zu Essen. Während andere Fluggesellschaften Service bieten und 2 Menüs zur Auswahl haben, bekommt man hier immerhin etwas zu essen. Nicht zu definieren, was es ist (und ja, das ist leider bei fast allen Fluggesellschaften der Fall) und von Auswahl gar nicht zu reden. Da ich aber, wie oben geschrieben, nicht in der 2., sondern in der dritten Klasse sitze, bekommt erst die Premium Komfort-Class das Essen serviert (ich glaube sogar, bei der Stewardess ein winziges Lächeln erkannt zu haben). Ich versuche, mein Klappbrettchen aus dem Sitz des Vordermanns auszuklappen. Ich bin nicht dick! Aber es drückt ein wenig gegen den Bauch.
Während des Essens werde ich knapp 4x ohnmächtig aufgrund des Luftmangels. Wenigstens schmecke ich den Fraß auf diese Weise kaum.
Nach dem Essen sind alle Fluggäste glücklich, drücken ihre Sitze die möglichen 3,5 cm nach hinten und schlafen. Frustriert hocke ich in meinem Sitz. Der Versuch, das Nackenkissen zu benutzen, scheitert. Sobald es um meinen Hals liegt, kippt der Kopf nach vorne. Durch den zurückgeklappten Sitz meines Vordermanns sind meine Knie mittlerweile eingeschlafen... oder mangels Blutzuflusses abgestorben. Wenigstens hat C. ein breit gefächertes Angebot von teilweise älteren Filmen, die auf winzigen Bildschirmen gezeigt werden. Um mir diese anzuschauen, muss ich meinen Kopf im 70 Grad-Winkel nach links drehen und um ca. 20 Grad schräg neigen, damit ich das Bild erkennen kann. Tatsächlich fallen mir langsam die Augen zu, als sich plötzlich von der rechten Seite meiner Armlehne ein Fuß von hinten anschleicht. Ich rücke meinen Kopf nach rechts unten und schaue entsetzt auf den wackelnden Fuß. Mit zuckendem Auge drehe ich mich um, die Dame, die es sich dort gemütlich gemacht hat, hat eine Beinfreiheit, für die ich sie beneide (eben wegen jenes Notausstiegs) und hat dann noch die Frechheit, meinen winzigen Freiraum zu beschlagnahmen. Ich drücke den Fuß zurück und stopfe mein Nackenkissen in die Lücke. Ist es wenigstens doch zu etwas zu gebrauchen während des Fluges.

4 Stunden später trocknen nach und nach meine Augen und Nase aus, ich altere in kürzester Zeit um 10 Jahre. Jetzt ein heißes feuchtes Tüchlein, zum Erfrischen und Befeuchten des Gesichts.
Und tatsächlich: die Stewardessen sind gerade unterwegs mit heißen Tüchern... für die 2. Klasse. Ich bekomme kein Tuch und trockne vor mich hin. Stündlich kommen die Damen, die mit zu den grimmigsten Gestalten aller Fluggesellschaften, die ich bisher erlebt habe, mit einem Fingerhut voll Wasser vorbei, welches bereits beim Berühren meiner Zunge durch die Trockenheit verpufft.

Zwischendurch beobachte ich auf den Bildschirmen - sofern mein verrenkter Nacken die Neigung noch schafft - das kleine animierte Flugzeug, um zu schauen, wann ich mich endlich bewegen kann.

Nach 10 1/2 Stunden erreichen wir endlich den Zielflughafen. Die Fluggäste erheben sich und verlassen nach und nach das Flugzeug. Ich bleibe noch sitzen.
Vielleicht bekomme ich irgendwann wieder ein Gefühl in den Beinen. Und wahrscheinlich genau dann muss ich den Rückflug wieder antreten.

Danke liebe C. für so ein beeindruckendes Urlaubserlebnis!