Samstag, 15. September 2012

Geisterstunde

Man kann ihn nicht sehen und doch existiert sein Mythos. Niemand konnte sein Dasein je beweisen, doch viele haben von Leuten gehört, die seinen Schatten gesehen haben, seine Anwesenheit spüren konnten. Niemand kennt seinen richtigen Namen, kann sein Aussehen konkret beschreiben. Wenn es ihn gibt, tarnt er sich - wandelt nur in den dunklen Ecken jener Gänge, beinahe lautlos und geheimnisvoll. Ja, er, dessen Name nicht genannt werden kann, ist eine besondere, mysteriöse Spezies. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, der Sage nachzugehen und jenes Rätsel zu lösen und Licht hinter den dichten Nebelvorhang zu bringen. Gibt es ihn wirklich - den Baumarktmitarbeiter? 

Ich gehöre zu der großen Gruppe der "Ich-möchte-auf-gar-keinen-Fall-in-einen-Baumarkt,-muss-aber,-weil-ich-sonst-nicht-renovieren/umziehen-kann"-Leute. Und sind wir mal ehrlich, wer kommt bei einem Umzug schon mit einem einzigen Besuch in diesem ungeliebten Laden weg? Beim letzten Umzug habe ich mehrfache Checklisten geführt, um dem Baumarkt so wenig Besuche wie möglich abzustatten. Soweit ich mitgezählt habe, waren doch 6 Fahrten und gefühlte 1000 Stunden nötig, um alles, was man benötigt, zusammenzukramen. 

Vor meinem ersten Baumarktbesuch wurde ich bereits vorgewarnt, mich kundig zu machen, was genau ich bräuchte, denn auf Hilfe könne ich hier nicht zählen. Und obwohl mir bewusst war, dass wir in der deutschen Servicewüste leben und nicht auf jeden Verkäufer zählen können, war ich auf DAS nicht vorbereitet. Während ich nach und nach in der unendlichen Weite des Malerbedarfs Kreppband und Pinselchen suchte, wanderten meine Augen von links nach rechts, ob ich nicht doch einen Blick auf einen Mitarbeiter des Baumarktes erhaschen könnte. Ich wusste, dass ich zum unangenehmen Teil schreiten musste, indem ich eine Bohr- sowie eine Schleifmaschine aussuchen musste (keine Sorge, ich habe beides nicht selber benutzt) und würde eine kleine Beratungshilfe benötigen. So begann meine Suche. Zwei Stunden lang lief ich durch die verlassenen Gänge, vorbei an Glühlampen, durch die Sanitärabteilung vorbei am Zuschnitt... und dort, wo eben in der Ferne noch eine Kreissäge erklungen ist, lag nur noch der feine Geruch des Holzes in der Luft. Absolute Stille. Bei den Farben erschrak ich kurz, als mir plötzlich ein Pärchen entgegenkam, die ebenfalls einen Mitarbeiter suchten. Verzweifelte Blicke. Und so musste ich zugeben, dass ich bei meinem ersten Besuch dort keinen Mitarbeiter zu Gesicht bekam. Auch beim 2. und 3. Mal nicht. Beim 4. Mal, sah ich noch das Bein und einen Schuh, welches verzweifelt versuchte, sich durch eine Tür durchzuzwängen, um bloß nicht... zu spät. Ich hatte vorher ein kleines Sprinttraining absolviert und konnte ihn so einholen. Ich sah weiterhin nur das Bein und auf meine Frage, wo die 40 Watt-Glühbirnen versteckt wären, drang aus dem Dunklen eine tiefe Stimme "Gucken Sie mal da, ich hab jetzt Pause". Ja, es mag anstrengend sein, den ganzen Tag auf der Flucht zu sein. Nach Möglichkeit jedem Kunden ausweichen zu müssen und wie ein Ninja durch den Laden zu schleichen, ist sicherlich ermattend. 

Dann hatte ich den Plan, mindestens eine Begleitperson mit in den Baumarkt zu schleifen, um dann auszuschwirren. Auf ein Zeichen (z. B. ein Husten oder Pfeifen) sollte der andere demjenigen zu Hilfe eilen und der Mythos Baumarktmitarbeiter umzingelt werden. Und tatsächlich, ich hörte ein Husten, und eilte schnell in jene Richtung; er war umzingelt. Es kam ein schwaches Lächeln von dem Herrn, der nervös seine Brille zurecht rückte, da war klar: wir hatten den Falschen! Einen roten Pulli anzuziehen ist im Baumarkt offensichtlich kein Vorteil. 

Doch dann kam er, mein Triumph und es ist mir tatsächlich gelungen, einen echten Baumarktmitarbeiter in seiner vollen Lebensgröße zu "fangen". Drei Leute und vier Stunden Tarnung waren dafür notwendig. Der Herr ergab sich seinem Schicksal, guckte unglücklich drein, doch letztlich gab er kompetente, qualifizierte Auskünfte. Es gibt ihn also den Mythos. 


Und ich frage mich immer: "Warum?" Unqualifiziert sind sie nicht, unfreundlich auch nicht. Warum gibt es ihn nur in Baumärkten, den scheuen Mitarbeiter? 


Und vor etwa einem Jahr habe ich das erste Exemplar getroffen, welches lächelnd mit sicherem Schritt auf mich zuging und fragte "Kann ich Ihnen helfen?" Erschrocken und zu tiefst geschockt taumelte ich zurück und rannte aus dem Baumarkt. 

Ich habe diesen gruseligen Ort bis heute nicht mehr betreten. Möglicherweise keine schlechte Taktik von ihm!

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