Donnerstag, 27. September 2012

Komfortzonen

Jeder Mensch hat seine Macken - und genau diese machen jeden für sich individuell und meistens auch interessant. Ich mag die Macken anderer Leute.. manchmal.

Rund um meinen Körper hat sich eine Wohlfühlzone mit einem etwa 1,5 m Radius gebildet. Das ist zugegebenermaßen etwas mehr als bei anderen Menschen, für mich aber notwendig, denn ich möchte mich ja - man kann es erahnen - wohlfühlen. Alles, was in diesen Radius einfällt, wird als Eindringling betrachtet, die Füße reagieren schnell und bringen den Körper wieder in den komfortablen 1,5 m - Abstand. Für den Fall, dass Platz ist. Und genau hier stoße ich an mein Problem. 

Es gibt wenig Aufzüge, in denen Platz zum Ausweichen ist. Die von mir so geliebten Paternoster gibt es leider kaum noch, aus denen war ein spontanes Heraushüpfen wenigstens weitestgehend möglich. Mittlerweile beobachte ich, wie viele Menschen vor einem Aufzug stehen, entscheide mich ab und zu doch für das Treppenhaus. Unglücklicherweise kann man nicht alles vorhersehen und so stehe ich mit meiner Wohlfühlzone in einem verlassenen Aufzug und genieße die Fahrt, bis er stoppt, die Tür aufgeht und ein Meer von Menschen in den Aufzug geschwemmt wird. Mit zarter Stimme versuche ich, auf die 9-Personen-Beschränkung hinzuweisen und die Flucht zu ergreifen, doch meine kläglichen Versuche verhallen im Stimmgewirr der Menschenmenge. Während meine Komfortzone sich in die linke, obere Ecke des Aufzugs verzieht, warte ich mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem, bis der Fahrstuhl nach gefühlten Stunden in der gewünschten Etage anhält und ich mich aus dem winzigen Käfig befreien kann.

Bei Unterhaltungen achte ich stets darauf, einen gesunden Abstand zu meinem Gesprächspartner zu halten, um eine angenehme und gepflegte Kommunikation führen zu können. Doch es gibt sie immer wieder, die subtilen Kuschler, die in kurzen Abständen - jedes Wort ein kleiner Schritt - näher rücken. Sie suchen die Nähe, möglichst, um ihr Gegenüber noch anzustupsen oder Gesten noch imposanter vorführen zu können. Weicht man nicht aus, sieht man sich ein paar Minuten später Schulter an Schulter, Nase an Nase zu seinem Gesprächsteilnehmer. Mit einer gesunden Komfortzone passiert aber etwas anderes: man weicht automatisch zurück. Und so entsteht ein Wandergespräch. Je nach Dauer dieser Kommunikation findet man sich plötzlich an einem völlig anderen Ort vor. Den Kuschler beeindruckt das allerdings wenig - ohne Unterlass versucht er, in die Wohlfühlzone seines Gegenübers einzudringen, sucht die Nähe, um zu stupsen und zu drücken. Warum man sein Gegenüber überhaupt während einer Konversation anstoßen muss, hat sich mir bis heute übrigens nicht erschlossen. Ein Schulterklopfer oder ein gezielter Stoß gegen den Oberarm untermalen das Gespräch mit einem negativen Beigeschmack vor allem, wenn es in völliger Euphorie unter Einbuße der Kontrolle des Schlages geschieht. Das schmerzverzerrte Gesicht des Gegenübers scheint dem Kuschler in seinem Vorhaben keinen Abbruch zu tun. Ich bin gnadenlos, bevor ich gestupst werde, wander ich weiter, mit dem Hintergedanken, ob es ihm wirklich nicht auffällt. Hier hat sich bewährt, am besten Richtung Tür zu wandern, man kann diese belanglos im Gespräch öffnen und den Kuschler hinauslaufen lassen. Tür zu. Gespräch beendet. Ohne Hämatome an den Oberarmen.

Dann gibt es noch die Busserl-Begrüßer. Ob privat oder geschäftlich, ich möchte entscheiden, wem ich die Hand gebe oder wen ich busserl. Und gebusserlt wird - man ahnt es bereits - bei mir äußerst selten. Doch kommt man leider manchmal nicht umhin, da das Gegenüber - was man schlimmstenfalls nicht einmal kennt - die ausgestreckte Hand ergreift, einen heranzieht und fröhlich darauflosbusserlt, ob man möchte oder nicht, spielt hier keine Rolle. Kurz darauf folgt eine kurze Verwirrung - 2 oder 3 Busserl auf die Wangen, meistens steht einer noch mit kussmundgeformten Lippen und halb geschlossenen Augen da, während der andere (das bin ich) bereits mit großen Schritten in die sichere Komfortzone zurückläuft. Das ist unhöflich, aber es verwirrt mich ebenso wie mein Gegenüber und es überrascht mich immer wieder, dass meine eindeutige Körpersprache mit einem zurückgelehnten Oberkörper und einer weit nach vorn ausgestreckten Hand missinterpretiert wird und ich offensichtlich so aussehe, als müsste ich unbedingt herzhaft gebusserlt werden.

Schutzlos ausgeliefert ist meine Komfortzone in der Sauna. Was ein Widerspruch in sich ist, denn ich möchte mich wohlfühlen und zwar während des ganzen Aufenthaltes dort. Doch wenn man die Aufgusszeiten nicht vorher auswendig gelernt hat, entstehen Situationen wie zuvor im Aufzug beschrieben. Die Tür geht auf und eine Horde wellness- und aufgussbegeisterter Saunierer stürmen die Sauna. Sie laufen über mein Handtuch - und ganz ehrlich: FÜßE haben schon gar nichts in meiner Komfortzone zu suchen! Ich habe selber 2 gesunde Füße, das reicht für meine Zone, mehr müssen da nicht rein. Und schon überhaupt nicht auf mein Handtuch! Die Sauna wird geflutet, die Menschen quetschen sich nebeneinander und dann das Desaster: verschwitzte Arme drücken von links und rechts an meine. Mit einem angeekelt-empörten Blick versuche ich meinen Mitsaunierern klar zu machen, dass ich das unter gar keinen Umständen möchte!  Sie akzeptieren....  und fangen an, sich mit ihrem Schweiß einzureiben! Erstarrt sitze ich ohne Komfortzone dort, nicht fähig zu fliehen, die Tür ist bereits geschlossen, der Aufguss beginnt, ich bin gefangen. Nach 10 Minuten verlasse ich blass und angespannt die Sauna und schwöre, nie wieder an einem Aufguss teilzunehmen. 


Sofern ich denn später alt und grau bin und einen Gehstock benötige, sollte meine Wohlfühlzone geschützt sein, denn jeder Eindringling wird sofort mit dem Stöckchen gepiekst und in seine richtige Position geschubst. Und wehe, er versucht mich anzustoßen... 



1 Kommentar:

  1. Ich glaube immer mehr, wir sind seelenverwandt: Aufzug-Qualen, Begrüßungsküsschen... schreib jetzt bloß nicht noch über Laubbläser, das Thema habe ich mir schon zurechtgelegt!

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