Freitag, 13. Juli 2012

Sie Arschloch... oder Du?

Erstmal ist es gar kein Aufreger, anfangs zumindest nicht. Es ist ein alltägliches Problem, mit dem sicherlich jeder von uns bereits konfrontiert wurde.Und wenn man nicht weiß, wie man sich verhalten soll, kann die Anrede zu einer katastrophal akrobatisch verrenkten Satzbauweise führen, die ihresgleichen sucht: duze ich Sie oder sieze ich dich?

Insofern bitte ich um Verzeihung für den Titel dieses Blogposts, aber er wird noch wichtiger Bestandteil dieses Textes. 

Der Gedanke hinter der höflichen Anrede ist denkbar einfach: Ältere Menschen, Chefs, Kunden und fremde Leute werden gesiezt. Es sei denn, sie bieten das "Du" an. Klingt ganz leicht. Ist es aber nicht. Denn irgendwann kommt man in jene Grauzone, in der ein "Du" unangebracht und ein "Sie" noch weniger passend ist. 

Genau hier wird es interessant. Wenn der Anredende nicht genau weiß, wie sein Gegenüber nun anzusprechen ist, wird der Satz im Kopf (5 Minuten lang) vorbereitet und so lange umgelegt, bis eine Anrede ausgeschlossen ist. Zugegeben, bei "Kann ich Dir/Ihnen helfen?" ist das ganze noch recht einfach: "Kann ich helfen?".
Ein wenig schwieriger wird es, wenn man denjenigen beispielsweise seinen Vorlieben (Hobbys o. Ä.) fragen möchte. Ich selber verpasse in solchen Situationen meist den Anschluss des Gesprächs, weil mein Satz im Kopf immer noch nicht "anredefrei" ist. Gerade wenn ich ihn aussprechen möchte, ist das Gespräch beendet, mein Gegenüber ist weg und hat mich vermutlich mit einem nachdenklich-dümmlichen Gesichtsausdruck für immer in Erinnerung. 
Ich kann meinem Gegenüber ja auch nicht einfach Schlagworte an den Kopf werfen: "Hobbys?" "Arbeit" "Und sonst so?". 

Wie gesagt: es fließen undenkbar viele Faktoren in die Anrede ein, sodass jeder für die gegebene Situation entscheiden muss, wie er den anderen anspricht. Ist es geschäftlich, privat, was für ein Mensch ist mein Gegenüber, möchte ich überhaupt, dass er mich duzt?

An sich möchte ich gern geduzt werden, denn ich bin einer der Menschen, die davon überzeugt sind, dass man auch Respekt gegenüber dem Anderen zeigen kann, wenn man die vertraute "Du"-Form nutzt. Allerdings bin ich streng nach Knigge erzogen worden und würde nicht von selbst auf die Idee kommen, gleich jeden zu duzen. Es gehört sich nicht. Mein Neid in diesem Fall gilt dem englisch-sprachigen Volk, die derartige furchtbare Entscheidungen nicht zu treffen haben. Ein einfaches "you" und man kann jeden Satz frei formulieren, wie man möchte, ohne zu einem stotternden Häufchen Elend zu mutieren.

Wir können Menschen verärgern, wenn wir zu schnell duzen, was man dann an der Antwort "Duzen Sie mich etwa? Haben wir schon im Sandkasten zusammengespielt oder was?" erkennen wird. Oder wir siezen höflich und unser Gegenüber fühlt sich alt, gebrechlich und wird entsprechend unglücklich gucken.

Ich habe mich damit abgefunden, dass ich im Zweifelsfall meinen Sätze gründlichst umstelle, um eine direkte Anrede zu vermeiden und damit für einen Trottel gehalten werde. Meine Taktik, eine Mischform wie "Su" oder "Die" bzw. die komplette Anrede nuschelnd in den Satz zu schummeln, ist unglücklicherweise an der Bitte um Wiederholung des Satzes gescheitert.

Die höfliche Anrede ist oft genug angebracht und genau genommen auch gar nicht verkehrt. Allerdings hat mich der Satz "Du Arschloch ist leichter gesagt als Sie Arschloch" nicht wirklich überzeugt. Ich kann nicht berichten, dass ich jemals folgende Situation erlebt hätte:
"Hallo"
"Hallo, wie geht es Ihnen?"
"Gut, danke! Sie können mich aber gern duzen!"
"Gern. Du Arschloch!"
Gut, das war jetzt die Kurzfassung, auf lange Sicht gesehen ist mir aber auch Ähnliches nicht widerfahren. Respekt macht nicht nur eine Anrede aus. 

Und dann gibt es Situationen, wie neulich in der Sauna. Eine Gruppe von Herrschaften, die offensichtlich Führungspositionen in der selben Firma bekleideten, saßen in der Sauna nackt nebeneinander. Sie redeten übers Geschäft. Höflich! Gesieze! Sie sitzen nackt (!!) nebeneinander und wahren das "Sie". Mein Gehirn bereitete sich auf die EINE und EINZIG wahre Frage vor! WARUM? Aber wie hätte ich sie ansprechen sollen? Siezen oder duzen?
Es ist doch so: als Kind werden wir vor einem Referat oder einer Aufführung immer beruhigt mit den Worten "stell dir die Anderen nackt vor, das hilft". Und es hat geholfen. Immer. Weil es den übergroßen Respekt und die Angst nimmt. 
Sehen wir jemanden nackt (was man ja manchmal auch ehrlich gesagt gar nicht will, aber das ist ein anderes Thema), sieht man ihn anders als den Geschäftsmann/-frau im Business-Outfit. Man sieht die kleinen Macken und Makel, die Fehlerchen, die sonst so geschickt unter dem Kostüm oder Anzug versteckt sind. "Kann sich der Mensch denn nicht die Fußnägel schneiden?" Und das kann eher den Respekt nehmen als ein "Sie".  
Ich für meinen Teil vermeide ohnehin das Sprechen in der Sauna. Ruhe halten und kein Schweiß aufs Holz! 

Als ich vor einiger Zeit die Firma wechselte, kam ich in eine Abteilung, in der sich alle duzten. Allerdings stellten sich mir alle mit ihren Vornamen vor, einige verweigerten mir aber das "Du" für genau 3 Monate. Erst als nach den besagten Monaten klar war, dass ich niemand bin, der die Leute direkt beschimpft, wurde mir das "Du" angeboten. Ich belächele die Situation und so inkonsequentes Verhalten noch heute. 

Ebenso wie die Tatsache, dass eine ältere Dame sich immer noch von einer jüngeren Frau siezen lässt. Sie kennen sich nicht lange - so um die 35 Jahre. Aber es geziemt sich eben so, das muss man verstehen. Es könnte schließlich dem Umgang miteinander schaden, wenn die jüngere Frau die ältere auf einmal duzen dürfte. Nachher wird sie noch unverschämt und frech! Auch bei dieser Beobachtung liegt ein leicht süffisantes Lächeln auf meinen Lippen... ob sie sich jemals duzen werden? 

Natürlich wollen wir nicht in eine Bank kommen und dort mit den Worten "Ey, du alter Haudegen, wie geht´s dir?" begrüßt werden. Die Anrede sollte der Situation angepasst sein - und, falls sie dies nicht ist, ergeben sich äußerst amüsante Umstände, bei denen sich niemand ein Schmunzeln verkneifen kann. Denn wir alle kennen es. 

Aber in einer lockeren Situation bevorzuge ich ein höfliches Du und gehe davon aus, dass mein Gegenüber sich weiterhin mit dem nötigen Respekt mir gegenüber verhält. Er wird nicht auf einmal furzen, eine Hand in die Hose stecken, mit einem Rülpser seine Füße auf meinen Tisch legen und anfangen, mich wüst zu beschimpfen. 

Und ob dieser lockeren Situation bitte ich um ein höfliches "Du" in in diesem Blog! 


2 Kommentare:

  1. Das Problem kenne ich auch mit dem Siezen. Leider.
    Bin auch nach Knigge und mit ganz viel Etikette erzogen worden, halte das Sie aber auch sehr oft für übertrieben.

    Allerdings glaube ich gibt es da eine ganz einfache Regel. Und eine die ich mir selber eigen gemacht habe.

    Die Respektperson - also als Beispiel der/die Ältere, muss das Du anbieten. Bis dahin Sieze ich.

    Allerdings- und das ist meine eigene Regel, mit der fahre ich eigentlich ganz gut. Sobald mich Jemand beim Vornamen anspricht oder sich bei mir mit Vornamen vorstellt, gibt es ein konsequentes Du.

    Das erspart mir oftmals das Kopfzerbrechen ob Duzen oder nicht.

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  2. Ich hatte früher einen älteren Kollegen, der schon lange im selben Postamt arbeitete und seine Kunden daher fast alle kannte. Wenn er sich nicht sicher war, ob "Du" oder "Sie", sprach er sein Gegenüber in der Mehrzahl an, "Ihrzte" ihn/sie sozusagen. Etwa so: "Hier müsst ihr bitte noch unterschreiben" oder "Habt ihr einen Ausweis dabei?" - Ich glaube, diese Art der Anrede ist typisch ostwestfälisch.

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