Freitag, 10. August 2012

Stilbruch

Es ist nicht so, als wäre ich erzkonservativ. Aber ich finde, unserer Gesellschaft ist etwas Wichtiges verloren gegangen. In einem langsam schleichenden Prozess. Und nun findet man ihn nur noch selten: Stil.

Zuerst aufgefallen ist es mir, als ich vor Jahren Karten für ein klassisches Musical hatte. Ich hatte mich in meinen feinsten Zwirn geschmissen, man geht ja nicht ins Kino, sondern eine Abendveranstaltung und möchte entsprechend angemessen gekleidet sein. Unglücklicherweise war ich der wohl einzige Besucher mit dieser Meinung. Meine Begleitung und ich standen abseits - ein wenig aussätzig könnte man sagen. Die Leute - in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen gekleidet schauten uns an, als wären wir irgendwo falsch abgebogen. Wir schauten zurück. Und gingen hoch erhobenen Hauptes durch den Abend.

Es waren weniger die Blicke, die mich verärgerten. Wir haben etwa 100 € pro Karte bezahlt, es war ein Samstag Abend, man war vorher in einem guten Restaurant essen und ich hatte verdammt noch mal etwas mehr Stil an diesem Abend erwartet. Für ein Musical muss niemand ein Ballkleid oder Smoking anziehen, aber Jeans und Turnschuhe sind doch nun wirklich eher ... Kino. Bei den Eintrittspreisen nicht mal mehr das, aber gut.

Neuer Plan: nächstes Mal noch mehr Eintrittsgeld bezahlen und an einer Silvestergala in einem 5 Sterne-Hotel teilnehmen. Und tatsächlich: die Damen in Abendkleidern, die Herren in Smokings, wundervoll gedeckte Tische. Es war ein Abend wie im Bilderbuch. Links ein rotes Ballkleid, rechts ein teurer Smoking, dort vorn...ausgelatschte Turnschuhe, zerrissene Jeans und ein Feinripp-Unterhemd?! Was zum Teufel...? Ich schaute weg... möglicherweise hatte ich ein Gläschen Wein zu viel. Aber in der Tat, dieses Outfit gehört zu einer Gruppe junger Leute Anfang 20. Ich orakele heute noch, ob die Karten für den Abend so teuer waren, dass sie ihre letzten Lumpen anziehen mussten oder sie eine Wette verloren hatten. Auf jeden Fall unpassend. Setzen, 6!
Und warum sagt das Hotel nichts dazu? Wie in Kasinos zum Beispiel. Ein Sakko drüber hätte es schon getan. Es ist ja nicht so, als könne man Jeans nicht auch chic kombinieren.

Stil ist aber nicht nur angemessene Kleidung zu einem bestimmten Ereignis:
  • Stil bedeutet, nicht stundenlang an seinem Smartphone herumzutippeln, während andere dabei sind. 
  • Stil bedeutet, sich auch mal ohne "Ey! Alter! Sachma! Boah!" oder "Leck mich am Arsch" ausdrücken zu können 
  • Stil bedeutet, nicht einfach dazwischen zu platzen, wenn man telefoniert. Hier muss ich kurz unterbrechen. Denn auch hierzu habe ich ein hervorragendes Beispiel. Ich arbeite in einem Großraumbüro und es ist nicht zu glauben, aber wahr, hier gibt es auch Telefone. Natürlich bemüht man sich, leise zu reden, um andere nicht zu stören. Aber eigentlich ist das Gespräch doch für andere vernehmbar. Das hat mein Chef sich zunutze gemacht und so selten er mir was zu sagen hatte, so häufig fing er Gespräche an, sobald ich am Telefon war. Nun darf man sich nicht vorstellen, dass er neben mir stand und ins linke Ohr gesprochen hat. Die Mühe war es ihm nicht wert und so rief er mir aus der anderen Ecke des Büros fröhlich seine Kommentare zu. DAS IST NICHT STILVOLL! 
  • Stil bedeutet eigentlich auch, sich sonntags chic zu machen und spazieren zu gehen. Allerdings bin ich in dieser Hinsicht sehr froh über den ausgestorbenen Sonntagsstil. Das war mir dann doch zu viel des Guten. 
  • Stil bedeutet, manchmal herausgeputzt und mit strahlenden Augen eine Veranstaltung beizuwohnen, auf die man sich schon eine ganze Weile gefreut hat. 
  • Stil bedeutet, sich kurzzeitig mal ein wenig Luxus zu gönnen und ihn zu genießen. Und das bedeutet nicht den Kellner anzupöbeln mit den Worten "Herr Ober, da schwimmt was in meinem Sekt" mit der Erwiderung "Das ist Blattgold ... in Ihrem CHAMPAGNER!"
  • Stil ist auch Benehmen, Respekt den Mitmenschen gegenüber. Ein bisschen Knigge tut keinem weh!


Und Stil bedeutet nicht, dass man reich sein muss, um stilvoll zu sein. Denn es handelt sich glücklicherweise um eine Eigenschaft, die man nicht unbedingt käuflich erwerben kann. Man kann den Leuten die Auffassung "Es war teuer, ich kann es mir leisten und habe damit jetzt Stil" ansehen. Da stehen sie. In einem Zebramantel oder Pandaschuhen oder Gott weiß was für einem unnötigen und ausgefallenen Zeug. Aufgespritzten Lippen, gelifteten Gesichtern, gerichtetem Kinn, gestrafften Brüsten, verlängerten Beinen, gebotoxter Stirn, angelegten Ohren und gekürzten Näschen. Ja, man übersieht sie nicht. Nur sind sie nicht stilvoll. Allenfalls bedauernswert. Nicht annähernd können diese Leute  Roger Moore oder Katherine Hepburn das Wasser reichen.

Filme aus den 60er Jahren sind überfüllt mit Charme und Eleganz. Die Frau stand in einem hübschen Kleid und Pumps vor dem Herd, der Mann rauchte seine Zigarre/Pfeife und hatte Mut zum Hut. Nicht wie heute, einer Zeit, wo sich nach einem langen Arbeitstag die Jogginghose angezogen und die Flimmerkiste angeworfen wird. Allerdings war das Weltbild auch ein anderes und Frauen gehören eben nicht mehr nur allein hinter den Herd und Männer sind auch nicht mehr die Alleinverdiener. In diesem Fall: ein klares Plus für die heutige Zeit. Aber es geht ja hier auch gar nicht um die Emanzipation. Sondern um die stets präsente Eleganz, die heute durch das Legere und Coole in den Hintergrund gerückt ist.

Wie schön wäre doch ein stilvoller Mix aus beidem - mal locker und cool, mal elegant und chic.


In diesem Sinne: ein stilvolles Wochenende!

3 Kommentare:

  1. Wie wahr! Wenn ich nur sehe, wie manche bei uns am so genannten Casual Friday herumlaufen...

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  2. Ja, ja - die Sache mit dem Blattgold... Aber ansonsten kann ich der Einschätzung nur zustimmen!

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  3. Möchte ergänzen, dass trotz aller Aufgeklärtheit, Stil ebenso altersgemäße Kleidung ist und ich bin nicht altmodisch.
    Aber als mir letztens eine "Oma" mit pink gefärbten Haaren und dazu passendem pinken Teenie Jogginganzug mit Strasssteinchen begegnete, schockierte mich das schon..^^

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